Bürgerrechtler gegen Polizeidirektor und
Chefredakteur
oder
Rainer Moll gegen Tabarelli und Heitmann
Diese Episode begann mit dem nachfolgenden
Artikel der KIELER NACHRICHTEN vom 25.November 1999. Der uns bereits aus dem
Kapitel 16 der "Rechtsbeugermafia" bekannte Bürgerrechtler Rainer
Moll, der schon genügend unliebsame Erfahrungen mit der Lübecker Polizei
gesammelt hatte, ging diesem Bericht nach und besuchte daraufhin die von den
KIELER NACHRICHTEN besprochene Ausstellung.
Lübecker Polizei arbeitet Nazi‑Vergangenheit
auf
Lübeck - Die Landespolizei in
Schleswig‑Holstein versteht sich heute als "Bürgerpolizei",
deren Beamte überzeugte Demokraten sind. Doch wie fast alle gesellschaftlichen
Institutionen in Deutschland war auch sie in den Jahren 1933 bis 1945 in die
Machenschaften der Nationalsozialisten verstrickt Mit einer Fotoausstellung
"gegen das Vergessen" will die Polizeidirektion Schleswig‑Holstein
Süd jetzt "ein Zeichen setzen": Die Schau plädiert dafür, nichts zu
verdrängen, ist jedoch zugleich selbst ein Beleg dafür, wie schwer der Umgang
mit der unrühmlichen Vergangenheit bis heute ist.
Noch bis 1980 war die
Polizeiverwaltung in Lübeck im ehemaligen Gestapo‑Gebäude am Dom
untergebracht, in dessen Keller Gefangene von den Nazis verhört, gefoltert und
in die Vernichtungslager abtransportiert wurden. "Ich selbst habe in
diesem Gebäude meinen Dienst begonnen, und mir war damals nicht klar, wie es
mit der NS‑Geschichte verbunden ist", sagte der Leiter der
Polizeidirektion Süd, Winfried Tabarelli, gestern zur Eröffnung der Ausstellung.
Die Aufarbeitung der Geschichte gehöre als "zentraler Teil" zur
Diskussion um die gesellschaftliche Rolle der Polizei, betonte Tabarelli.
Äußerungen wie "Die Polizei ist auf dem rechten Auge blind", die nach
den Lübecker Synagogenbränden 1994 und 95 auch von Politikern gefallen sein
sollen, wies er entschieden zurück: "Das Gegenteil ist der Fall."
Die Ausstellung, die bis zum
17. Dezember (1999, d.V.) im zwölften Stock des Lübecker Polizeihochhauses
gezeigt wird und öffentlich ist, dokumentiert jedoch nicht die Verbrechen der
schleswig‑holsteinischen Polizei, sondern vielmehr die Heldentat eines
Einzelnen: Wilhelm Krützfeld geboren 1920 im Kreis Segeberg und 1938
Reviervorsteher in Berlin, verhinderte in der Reichspogromnacht mit gezogener
Pistole die Brandstiftung an einer der größten Synagogen der Hauptstadt. Seit
1993 trägt die Landespolizeischule in Kiebitzhörn bei Malente seinen Namen.
Wolfram Hartwich, dort bis zu seiner Pensionierung
als Polizeihauptkommissar tätig, hat die Dokumentation über Krützfeld
zusammengestellt.
Beamte "ab der mittleren
Führungsebene" befassen sich in seiner Behörde schon seit dreieinhalb
Jahren in Vorträgen und Diskussionen mit dem Thema Polizei und
Nationalsozialismus, sagte Polizeichef Tabarelli. Man stehe im Dialog mit
Historikern sowie mit Vertretern der jüdischen Gemeinde und der anderen
Kirchen. Die Ausstellung über den vorbildlichen Kollegen, der sich mutig gegen
den Volkszorn und die Weisung "von oben" stellte, sieht der Leiter
der Polizeidirektion deshalb als einen Teil der polizeilichen
Vergangenheitsbewältigung. (Quelle:
KIELER NACHRICHTEN vom 25.11.1999)
Nach dem Besuch dieser Ausstellung im Behördenhochhaus der Polizei war
Rainer Moll nicht nur enttäuscht, sondern auch empört über die Schönfärberei
und Vertuschung, für die der damalige Polizeidirektor Tabarelli verantwortlich
zeichnete. Moll hatte schon viele Jahre zuvor davon gehört, daß die
schleswig-holsteinische Polizei - ebenso wie die Justiz - in viele Nazi-Verbrechen
verstrickt gewesen sei, so daß man das bisherige Verschweigen nicht durch
öffentliche Unwahrheiten oder Verdrehungen durchbrechen sollte, sondern durch
die Wahrheit. Moll stellte entsprechende Ermittlungen an und wurde auf die
einschlägigen Forschungsergebnisse von Klaus Bästlein
und Klaus-Detlev Godau-Schüttke hingewiesen.
Weiterhin gab das vom Staatsverlag der DDR schon 1965 herausgebrachte
"Braunbuch" (Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik)
konkrete Hinweise auf Personen, die während der Nazizeit Verbrechen begangen
hatten und in der Bundesrepublik nicht nur nicht belangt wurden, sondern sogar
Karriere machten. Besonders schockierend war die Feststellung, daß sieben der
zwölf höchsten Polizeioffiziere zu Beginn der Bundesrepublik in
Schleswig-Holstein SS-Männer waren, obwohl die SS nach den auch für die BRD
verbindlichen Urteilssprüchen der Nürnberger Kriegsverbrechertribunale - im
Gegensatz zur Wehrmacht - als kriminelle Organisation insgesamt eingestuft
worden war. Darauf verfaßte Moll folgende Leserbrief an die KIELER NACHRICHTEN:
Leserbrief
Die KIELER NACHRICHTEN haben
es ‑ zumindest zwischen den Zeilen ‑ auf den Punkt gebracht. Von
"Aufarbeitung der Geschichte" kann bei der Fotoausstellung
"gegen das Vergessen" keine Rede sein. Die Lübecker Polizei entblödet
sich nicht, die historischen Tatsachen auf den Kopf zu stellen. Schleswig‑Holsteins
Polizei war ‑ ähnlich der Justiz ‑ tief in viele Naziverbrechen
verstrickt. Als die britischen Befreier abzogen, wurden Polizei und Justiz
"renazifiziert". Damals waren von den 12
höchsten Polizeioffizieren des Landes sage und schreibe 7 SS‑Leute! Man
kann mit guten Gründen von einer neonazistischen Verseuchung sprechen. Den
Justiz- und Polizeiverbrechen der Nazizeit wird man nicht dadurch gerecht, daß
man einen Polizisten aus Bad Segeberg, der in Berlin zum Helden wurde, als
Feigenblatt in Form einiger Bildchen an die Wand hängt. Ich habe mich anläßlich
des Besuches der Ausstellung veralbert gefühlt und als Polizeidirektor Tabarelli
seine Mitarbeiter als "überzeugte Demokraten" vorstellte, hätte ich
laut loslachen mögen, wo doch in seiner Behörde krumme Dinger (z.B.
Verschwinden von Beweismitteln) an der Tagesordnung sind. Auch die
Beförderungspraxis ist noch wie bei den Nazis. Voran kommt nur der Beamte, der
genug Dreck am Stecken hat.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Moll
Als Bürgerrechtler Moll in den folgenden Tagen keinen Abdruck seines
Leserbriefes feststellen konnte, wandte er sich telefonisch an den
Chefredakteur, Herrn Heitmann und fragte, welchen Erwägungen sein Eingesandt
zum Opfer gefallen sei. Heitmann druckste herum und meinte schließlich, das mit
den "sieben SS-Männern" würde nicht stimmen und seine auf Seriosität
bedachte Regionalzeitung wolle keine Unwahrheiten verbreiten. Moll bestand
demgegenüber darauf, daß der gesamte Leserbrief - einschließlich jener
Behauptung - der historischen Wahrheit entspreche. Heitmann stand mit dem
Rücken zur Wand und man kam überein, daß der Leserbrief doch abgedruckt werde,
wenn Moll den Nachweis erbringen würde, daß damals sieben der zwölf höchsten
Polizeioffiziere ehemalige SS-Männer gewesen seien. Flugs stellte Moll die
Literaturangaben zusammen und konnte sogar Roß und Reiter und Dienstgrad (vor
und nach 1945) präsentieren. Herr Heitmann beliebte es allerdings - mit uralten
hanseatischen Gepflogenheiten offenbar nicht vertraut - sein Wort zu brechen.
Der Leserbrief blieb unveröffentlicht.
Um so mehr war es für Moll ein "innerer Reichsparteitag", als
die LÜBECKER NACHRICHTEN gut zwei Jahre später den Schleier von den Verbrechen
Lübecker bzw. Schleswig-Holsteinischer Polizisten während der Nazizeit
lüfteten, auch wenn dies nicht aus eigenem Antrieb geschah. Die nachfolgenden
Artikel vom 7. und 8. März 2002 dokumentieren die tiefe Verstrickung Lübecker
Polizisten in die Vernichtung von Juden und anderen Zivilisten in Osteuropa
während des Rußlandfeldzuges, so wie diese von dem Historiker Wolfgang Kopitsch von der Landespolizeischule Hamburg erforscht
wurde. Von den Tätern lebt heute vermutlich keiner mehr, so daß man
unbefangener darüber sprechen kann. Es geht auch nicht um Formen des Mißbrauchs
der Vergangenheitsbewältigung, wie dies beispielsweise durch die
Wehrmachtsausstellung des Jan Philipp Reemstma
betrieben wurde. Es geht um die Notwendigkeit, die ungesühnt gebliebenen
Verbrechen, die das Ansehen des Deutschen Volkes so in den Schmutz gezogen
haben, beim Namen zu nennen und Wiederholungen ein für allemal einen Riegel
vorzuschieben. Leider stand Moll mit seinen negativen Erfahrungen nicht
alleine. Der Ungeist der Nazis spukt auch heute noch in den Köpfen vieler
Polizisten, für die das Grundgesetz "so heilig ist, daß sie es nur an
hohen Feiertagen anwenden wollen".
Ausstellung über die Verbrechen einer Lübecker Polizei-Einheit im Zweiten
Weltkrieg
Das Bataillon 307 - Massaker unter dem
Holstentor-Wappen
Die Lübecker Polizei arbeitet ihre Geschichte auf
‑ in einer Ausstellung über die Gräueltaten eines Lübecker Bataillons im
Zweiten Weltkrieg.
VON SABINE
LATZEL
Sie sitzen lachend am Tisch,
rauchen, trinken Sekt. Die Augen der vier Männer auf dem Schwarz‑Weiß‑Bild
sind jedoch mit Balken abgedeckt, wie bei Verbrecher‑Fotos üblich. Weil
diese Männer Verbrecher waren und gleichzeitig Polizisten, Angehörige des Lübecker
Polizeibataillons 307. Ein Bataillon, das während des Zweiten Weltkrieges
Massaker und Gräueltaten verübte und dem sich eine Ausstellung im Lübecker
Burgkloster widmet, die heute (am 7. 3.2002, d.V.) eröffnet wird.
Sie zeigt die hässliche
Geschichte des Bataillons auf, mit dessen Aufstellung 1942 in Lübeck begonnen
wurde. Geworben wurden aktive Polizisten und Zivilisten wie Handwerker oder
Angestellte, die zu alt für den Dienst bei der Wehrmacht waren. Wichtiges
Lockmittel: die sofortige Verbeamtung. "Die Männer kamen aus Hamburg und
Schleswig‑Holstein, mit dem Schwerpunkt Lübeck", berichtet der
Historiker Wolfgang Kopitzsch von der
Landespolizeischule Hamburg, der die Ausstellung "Das Polizeibataillon 307
(Lübeck) im Osteinsatz 1940 bis 1945" konzipiert hat.
Dieser Osteinsatz begann mit
der Stationierung der 450 bis 500 Männer im besetzten Polen. Nach dem Überfall
auf die UdSSR 1941 rückte das Lübecker Bataillon in die weißrussische Stadt
Brest‑Litowsk ein. Dort verübten sie Massenmorde an der jüdischen
Bevölkerung, erschossen 6000 bis 10 000 Männer sowie einige Frauen, die ihren
Männern freiwillig in den Tod folgten. "Die Bataillonsangehörigen, die bei
diesen Judenaktionen mitgewirkt hatten, bekamen am Abend eine Sonderzuteilung
aus Erdbeeren mit Sahne", heißt es in einem Bericht.
"Mir war selbst nicht
bewusst, wie die Lübecker Polizei in diese Taten verwickelt war", sagt
Heiko Hüttmann, Leiter der Polizeidirektion Schleswig‑Holstein
Süd. Er hörte während eines Vortrages von Kopitzsch
von der Lübecker Beteiligung am Massaker von Brest‑Litowsk und bewegte
den Historiker dazu, die Ausstellung zum Polizeibataillon 307 zusammenzutragen.
"Die Rolle der Polizei im Dritten Reich ist eine Blackbox, die wir
aufhellen wollen", erklärt Hüttmann, warum ein
so scheußliches Kapitel Polizeigeschichte ausgerechnet auf Initiative der
Polizei aufbereitet wird. Auf Ablehnung sei er bisher nicht gestoßen, so Hüttmann, "Nestbeschmutzer hat mich noch niemand
genannt".
Den Tätern sei es nicht
gelungen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, glaubt er ‑ eine
Vergangenheit, in der das Bataillon 307 weiter nach Osten vorrückte und weiter
jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordete. So seien in einem Wald bei Sluzk 30 bis 50 Frauen erschossen worden, wird ein Zeuge
zitiert. Er selbst habe ein weinendes Kind mit den Worten "Du kommst zu
Mama" auf die toten Frauen gelegt, woraufhin es ebenfalls erschossen
wurde.
Die Fotos, auf denen einige
der Beteiligten zu sehen sind, stammen aus Bundesarchiven ‑ und von
Menschen, deren Ehemänner, Väter oder Brüder zum Bataillon 307 gehörten.
"Bataillonsangehörige haben wir keine mehr gefunden", sagt Kopitzsch, "aber gut 20 Verwandte dieser Männer aus
dem Lübecker Raum". Diesen Verwandten habe er gesagt, "dass in der
Ausstellung historische Wahrheiten, also schlimme Dinge ausgesprochen
werden", so der Historiker. Das habe niemanden abgeschreckt, eine Frau
habe vielmehr erklärt: "Ich möchte wissen, was mein Vater getan hat."
Kopitzsch sieht
die Lübecker Polizisten als Täter, aber auch als Opfer: "Sie wurden missbraucht."
So erlitt das Bataillon beim Einsatz gegen die Rote Armee an der Ostfront
schwere Verluste, "die wurden verheizt". Bis zum Ende des Krieges
beteiligte sich das Bataillon mit dem Holstentor‑Wappen an Deportationen
von jüdischen Menschen ins Vernichtungslager Belzec
und am Kampf gegen Partisanen und Widerstandsgruppen in den besetzten Gebieten,
bis es im April 1945 aufgelöst wurde.
Ein Großteil der 1200 Männer,
die im Laufe der Jahre dem Bataillon 307 angehörten, kam um. Die Überlebenden
kehrten nach Hause zurück. Viele von ihnen blieben im Polizeidienst.
"Wegen der in der Ausstellung geschilderten Vorgänge wurde kein
Bataillonsangehöriger verurteilt", ist das bittere Fazit der Präsentation.
An deren Ende das Foto der vier Männer mit Sekt und Zigaretten steht ‑
sowie ein kurzer Satz: "Man traf sich in anderer Umgebung wieder." (LÜBECKER NACHRICHTEN vom 7.3.2002)
Polizei bekennt sich zu ihrer Schuld
Ausstellung im Burgkloster dokumentiert Verbrechen einer Lübecker Einheit
im Zweiten Weltkrieg
"Wir stehen fassungslos
vor diesen Dokumenten", sagt Ulrich Lorenz. Der Staatssekretär im Kieler
Innenministerium eröffnete gestern im Burgkloster die Ausstellung
"Polizeibataillon 307". Sie schildert Verbrechen, die die Lübecker
Einheit im Namen Nazi-Deutschlands in Osteuropa verübte. Tausende Menschen
verloren ihr Leben, die Polizeibataillone machten gnadenlos Jagd auf ihre Opfer
in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten.
Berichte von Zeitzeugen, Fotos
aus Privatarchiven, offizielle Dokumente und Karten schildern die schreckliche
Geschichte der Polizeibataillone. Der Leiter der Polizeidirektion Schleswig-Holstein
Süd, Heiko Hüttmann, gehört zu den Initiatoren der
Ausstellung, mit der die Polizei ein dunkles Kapitel ihrer eigenen Geschichte
untersucht.
"Wir werden mit dieser
Ausstellung Schmerzen auslösen", ist sich Wolfgang Kopitzsch
sicher. Der Studiendirektor, der in der Landespolizeischule Hamburg arbeitet,
hat die Schau konzipiert. "Wahrheit ist der Preis der Auseinandersetzung
mit der Geschichte", sagte Kopitzsch in seinem
Eröffnungsvortrag vor zahlreichen Ehrengästen aus Politik und Verwaltung und
vor Angehörigen von Zeitzeugen. Die schmerzhafte Wahrheit ist: Auch Lübecker
Polizisten waren an der Ermordung tausender unschuldiger Opfer beteiligt und
sind nach dem Ende der Nazi‑Diktatur oft in ihr bisheriges Leben
zurückgekehrt, ohne für ihre Taten zur Verantwortung gezogen worden zu sein.
"Um Gottes Willen,
hoffentlich ist er nicht dabei gewesen", waren Elisabeth Poses erste Gedanken, als sie zum ersten Mal von den
grausamen Polizei‑Verbrechen im Dritten Reich erfuhr. Auch ihr Vater war
Polizist in Lübeck, allerdings nicht in dem berüchtigten Bataillon, wie sich
später herausstellte, sondern bei der Schutzpolizei. Elisabeth Pose (62)
besuchte mit ihrer Schwester Else Schaeper (69) die
Ausstellung gleich am ersten Tag. "Das sollte sich jeder ansehen ",
empfiehlt Else Schaeper. Das findet auch
Stadtpräsident Peter Oertling, der vor allem Lehrer
aufforderte, mit ihren Schulklassen die Ausstellung zu besichtigen. Nur so
könne verhindert werden, dass sich Geschichte wiederholt, darin waren sich die
Besucher zur Eröffnung einig. (LÜBECKER
NACHRICHTEN vom 8.3.2002)