Mitläufertum
Seit
August 2000 sind die Bürger der Bundesrepublik Deutschland Zeugen einer
großangelegten Kampagne gegen "Rechts" geworden. Aufrufe, markige
Politikerreden und Massendemonstrationen bestimmen seitdem wieder einmal das
Bild der Öffentlichkeit.
Auslöser war ein Rohrbomben‑Anschlag
in einem Düsseldorfer S‑Bahnhof am 27. Juli, bei dem sieben Sprachschüler
aus der ehemaligen Sowjetunion, in der Mehrzahl jüdischen Glaubens, teils
schwer verletzt wurden. Es ging kein Bekennerschreiben ein, ein Täter konnte
nicht ausgemacht werden. Trotzdem wurde der Anschlag in den Medien sehr schnell
"rechtsextremen" Terroristen unterstellt. Und er wurde in
Zusammenhang mit einer angeblichen Serie von fremdenfeindlich motivierten
Gewaltakten auf dem Gebiet der fünf östlichen Bundesländer gebracht. Die
Kampagne bewirkte Aktivismus der verschiedensten Art ‑ von etablierten
Politikern und Institutionen initiierte Großdemonstrationen, zahlreiche Formen
teils skurril anmutender Bekenntnissymbolik (Zahnärzte stellten ihre Behandlung,
Friseure ihre Haarschnitte und Sportvereine ihre Trainingsstunden unter das
Motto "gegen Rechts" und werteten damit ihre Alltagshandlungen
rituell auf) bis zu staatlichen Bestrebungen, die NPD vom
Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen.
Dabei spielen
Differenzierungen, Unterschiede zwischen "Rechtsextremismus"
"Rechtsradikalismus" oder einer gemäßigten "Rechten" in der
emotional geführten Diskussion keine Rolle. Erklärungen sind müßig und werden
auch immer weniger verstanden. Sie überfordern anscheinend den Geist der Bürger
in einer Unterhaltungsgesellschaft, in der immer stärker nur noch in Schwarz‑Weiß-Schemata
gedacht wird. Der politische Kampf wird somit zunehmend pauschal "gegen
Rechts" geführt. "Rechts"? Bürger und Medienmacher denken dabei
nicht an eine weitreichende Geistestradition, an Oswald Spengler, Arthur
Moeller van den Bruck, Ernst Jünger oder Juan Donoso Cortez. Nein das
öffentliche Bild des "Rechten" ist heute allenfalls noch als ComicZeichnung
prügelnder und schreiende Glatzköpfe präsent.
Wenn die Bürger an "die
Rechten" denken, kommen ihnen nicht mehr die Bilder von aristokratischen
Landadeligen, von preußischen Offizieren, von monarchistischen Honoratioren in
ihren Studierzimmern, von kernigen Wanderburschen der "bündischen
Jugend" in den Sinn ‑ übrig ist allein das Bild grölender, saufender
Schläger. "Der Rechte" wird somit zum Synonym für "der
Menschenfeind", "der Gewalttäter" und zur Verkörperung "des
Bösen".
Diese Betrachtung, wie die
ganze Diskussion darüber, ist durch diese comicartige Verkürzung bedingt an
Einseitigkeit nicht mehr zu überbieten. Geschieht eine geringfügige
Sachbeschädigung an einer Synagoge oder einer KZ‑Gedenkstätte, geht ein
medialer "Aufschrei" durch das Land, wird Sachbeschädigung an einer
Kirche begangen, ist das vielleicht eine sechszeilige Meldung in der
Lokalpresse wert, an einem Kriegerdenkmal (eine oft geübte Praxis
linksgerichteter Jugendbanden) nicht einmal das. Schlägt oder bedroht ein
"Rechter" einen "Linken" oder ein Deutscher einen
Ausländer, führt dies zu "empörten" Pressemitteilungen etablierter
Politiker, werden Deutsche von Ausländern bestohlen, bedroht, verletzt oder gar
getötet, ist das wieder nur ein Fall für den Regionalteil der Heimatzeitung. Die
Gewalt von Ausländern an Deutschen sei schließlich nicht
"fremdenfeindlich" motiviert, sondern es ginge nur ums Geld, so die
Begründung. Als ob das Motiv des Täters für das blutende Opfer einen
Unterschied machte, und als ob nicht sowohl Fremdenfeindlichkeit wie Raubüberfall
im Grund um dasselbe gingen ‑ sich Machtmittel in einem menschlichen
Daseinskampf zu sichern (Territorium und politischen Einfluß auf der einen,
Finanzressourcen auf der anderen Seite).
In der Presse gänzlich
unterschlagen wird die Gewalt linksgerichteter, "antifaschistischer"
Gruppen gegen rechtsgerichtete Menschen: Brandanschläge und Körperverletzungen
sind hier durchaus an der Tagesordnung. Beispielsweise fanden 1998 nach Angaben
des Bundeskriminalamtes 261 Gewaltakte von sogenannten Linksextremisten gegen
rechtsgerichtete Menschen statt, darunter 3 versuchte Tötungsdelikte, 141
Körperverletzungen, 15 Brandstiftungen und 85 Landfriedensbrüche. Für die
Medien-Berichterstattung in der Regel überhaupt kein Thema. Nein, es muß in
einer zunehmend weniger differenzierenden, Unterhaltungsgesellschaft
feststehen, wer "böse" und wer "gut" ist. "Böse"
ist der "Rechte", dem jede Schandtat nachzusagen ist, "gut"
sind die (armen, ausgenutzten und mißachteten) "Ausländer", die
"Mitte" und auch die "Linke". Wie aber soll eine Demokratie
funktionieren, wie soll eine "Mitte" entstehen, wenn es zwar eine
"linke", aber keine "Rechte" geben darf?
Das Bild des Kampfes der
lichten "Antifaschisten" gegen das dunkle Böse des
"Rechtsextremismus" ist natürlich ein mythologisches Motiv und
Propagandaschema für eine im Grunde politisch eher desinteressierte
Bevölkerung. Jede Kampagne hat aber ihren Hintergrund, und dieser ist auch
hinter den Kulissen der "Anti‑Rechts"-Demos erkennbar. Hinter
"antifaschistischen" Kampagnen gegen sogenannten Rechtsextremismus
versteckt sich immer ein weitergehendes Ziel. Das "braune Monster"
wird von links gerichteten Politikern und Publizisten nur zu gerne
herangezogen, um über die Lähmung rechtsgerichteter politischer Gegner und die
Fixierung der Bevölkerung auf den "rechten Feind" weitergehende
gesellschaftspolitische Pläne zu realisieren. Seit der Regierungsübernahme
durch Gerhard Schröder wird das Projekt "multikalturelle
Gesellschaft", also im Grunde die schrittweise Marginalisierung einer sich
als "deutsch" verstehenden Bevölkerungsmehrheit in Deutschland, offen
propagiert.
Nicht zufällig ist das
Zusammenfallen der "Anti‑Rechts"‑Kampagne mit der
gleichzeitigen Debatte um Zuwanderung und "Green Cards". Ein neuer
Einwanderungsschub nach Deutschland wird aus diversen politischen wie
wirtschaftlichen Gründen vorbereitet. Bei derartig weitreichenden
Unternehmungen stört Kritik natürlich immer. Das einfachste Mittel gegen sie
ist, potentielle Kritiker in die argumentative Defensive zu bringen. Wer sich
für seine Meinung rechtfertigen muß, beteuern muß, kein "schlechter
Mensch" zu sein, ist zu einer offensiven Kritik nicht mehr in der Lage.
Und deshalb richtet sich die gegenwärtige Kampagne ja auch in Wirklichkeit nicht
gegen Gewalt‑ und Straftäter, da man sonst auch die verschiedensten
Formen von Gewalt in dieser Gesellschaft thematisieren müßte.
Nur zur Verdeutlichung: 1999
wurden insgesamt 388.406 Körperverletzungsdelikte registriert, darunter 299 mit
Todesfolge. In der ersten Jahreshälfte 2000 dagegen registrierte das
Bundeskriminalamt insgesamt nur 330 Fälle sogenannter rechtsextremistischer
Gewalt. Die Zahl solcher Gewalttaten ging gegenüber dem Vorjahr zurück und
hatte in etwa dieselbe quantitative Stärke wie die Gewalttaten linksgerichteter
Täter. Erst im Gefolge der Medien‑Kampagne seit August 2000 erhöhte sich
die Zahl "rechtsextremistisch" motivierter Übergriffe etwa durch
Nachahmungstäter. Ein direkter Zusammenhang zwischen der NPD und derartigen
rechtsgerichteten Straftaten konnte übrigens nicht ausgemacht werden. Zwar sind
330 "rechtsextremistische" Straftaten auf jeden Fall 330 zuviel und
gehören regulär strafrechtlich verfolgt, sind aber angesichts der
gesamtgesellschaftlichen Gewalt nur eine minimale Größe.
Es geht also nicht um Gewalt.
Vielmehr soll via Emotionalisierung der Bevölkerung eine bestimmte politische
Meinung unter Straftatsverdacht gestellt werden. "Faschismus ist keine
Meinung, sondern ein Verbrechen", lautet eine Parole, die
Gewerkschaftsmitglieder unlängst von "Autonomen" der frühen
neunziger Jahre abgeschaut hatten. Und was "Faschismus" ist und wer
dadurch demnächst ein "Verbrechen" begeht und in den Knast gehört,
bestimmen fortan die selbsternannten "Anständigen".
Anders ausgedrückt: Krieg gegen
einen äußeren Feind wurde schon oft von Regierungen benutzt, um von Fehlern der
eigenen Politik ablenken zu können. Da es der Bundesrepublik angesichts der
außenpolitischen Situation und pazifistischen Rhetorik derzeit nicht möglich
ist, Krieg gegen äußere "Feindmächte" zu führen, wird der Krieg gegen
einen inneren "Feind" aufgenommen. Auch dies eine deutsche Tradition.
Man kann sich als Streiter für das Gute und die Interessen des Volkes
darstellen und sich, nachdem man beispielsweise einem unwichtigen Grüppchen von
6.000 NPD-Mitgliedern "entschlossen" in den Allerwertesten getreten
hat, noch ohne Risiko in strahlender Siegerpose präsentieren. Der
"Sündenbock" ist in jedem System bestens dafür geeignet, von eigener
Unfähigkeit abzulenken und politische Herrschaft zu sichern. In der
Bundesrepublik heißt dieser Sündenbock in der Regel
"Rechtsextremist".
Eine politische
Auseinandersetzung unserer Zeit verläuft zwischen Anhängern einer Auflösung
jeglicher Bindungen an eine nationale Identität auf der einen und den Bewahrern
nationaler Identität auf der anderen Seite. Die einen propagieren die
schrittweise Umwandlung des Kulturmenschen zum rein biologischen "Menschen‑so‑wie‑alle‑anderen‑auch",
der nur von seiner biologischen Konstitution als "Mensch" und seinem
Konsumverhalten bestimmt sei, die anderen sperren sich dagegen. Maßgebliche
journalistische Mitinitiatoren der "Anti-Rechts‑Kampagne", wie
Burkhard Schröder (geb. 1952), propagieren offen die gesellschaftliche
Machtübernahme durch Immigranten. In seinem neuesten Buch "Nazis sind
Pop" (Berlin 2000, Espresso-Verlag) empfiehlt Schröder der
"Antifa" die "subversiven Mittel der Migranten" zur
"Modernisierung" und "Internationalisierung" des Landes.
Unter dem
"Rechtsextremisten" wird folgerichtig heute zunehmend einfach
derjenige verstanden, der sich gegen weiteren Ausländerzuzug, gegen die
Dominanz des Ökonomischen und für ein Deutschland unter eindeutiger Dominanz
einer deutschen Mehrheitskultur ausspricht. Oder derjenige, der kulturelle und
soziale Konflikte mit Ausländern in seinem Alltag austrägt und deren Ethnizität
thematisiert. Der universell feststellbare Konflikt zwischen verschiedenen
Ethnien wird also mit der politischen Verortung als "rechts"
vermengt. Auch wenn dieser "Ausländerfeind" oftmals gar nicht
"rechts" wählt, sondern vielleicht SPD oder PDS, oder niemals
Spengler gelesen hat, wird er im Medienapparat zunehmend abwertend als
"Rechtsextremist" gekennzeichnet.
Die heutige Kampagne ist eine
fast getreue Kopie der "Lichterketten"‑Bewegung von 1992/93,
als Hunderttausende in der Weihnachtszeit mit Kerzen auf die Straße gingen, um
gegen "Rechtsextremismus", und "Ausländerfeindlichkeit" zu
demonstrieren. "Wer schweigt, scheint zuzustimmen", verlautbarte
damals Fernseh‑Moderator Alfred Biolek. Heute erklärt selbst der
Bundeskanzler, daß es "nicht mehr erlaubt" sei,
"wegzusehen". Er fordert zum "Aufstand der Anständigen"
auf. Aber wenn ein Regierungschef zu einem "Aufstand" auffordert,
kann etwas nicht stimmen. Normalerweise richten sich Aufständische gegen eine
Regierung. Wenn aber die Herrschenden zu einem Aufstand gegen irgendwelche
unbedeutenden Randgruppen aufrufen, sollte eigentlich Vorsicht geboten sein.
Die Elemente der heutigen
Kampagne sind dieselben wie zu "Lichterketten"‑Zeiten. Zuerst
braucht es ein Opfer "ausländerfeindlicher" Gewalt, das jederzeit zu
finden sein dürfte. Dieses Opfer dient als Initialzündung der folgenden
Kampagne. Das Thema wird nun in den Medien multipliziert. Eine schuldige Gruppe
wird ausfindig gemacht ‑ "die rechtsextremen Gewalttäter",
Wesen bar jeder Humanität, eigentlich schon keine Menschen mehr, eine
"Gefahr", die sich auf die schutzlosen Bürger zubewege, um diese
unter einer Welle von Gewalt und Terror zu begraben. Die mediale Vermittlung
funktioniert, da die meisten Bürger den sogenannten
"Rechtsextremisten" bislang nur im Fernsehen gesehen haben, noch nie
ein eigenes Gespräch mit einem derartigen "Monster" geführt haben.
Über verständliche Mitleidsgefühle gegenüber den (ausländischen) Opfern und Angsterzeugung
gegenüber den "Rechtsextremisten" werden ‑ neben ohnehin
bereitstehenden "antifaschistischen" Aktivisten der verschiedenen
linksgerichteten Organisationen - moralisch betroffene Normalbürger motiviert.
Schließlich versuchen Spitzenpolitiker sich entweder an den Protest anzuhängen,
um sich zu profilieren, oder diesen zu kanalisieren. Der
"Antifaschismus", früher Betätigungsfeld einiger radikal‑linker
Randgruppen, ist folglich seit Anfang der neunziger Jahre zur Staatsdoktrin
geworden. Schließlich kommt der heikelste Punkt der Kampagne. Sogenannte
"Vordenker", die "geistigen Brandstifter", werden von
interessierten linksgerichteten Publizisten und Politikern für die realen
Straftaten verantwortlich gemacht. Der "Vordenker"-Vorwurf kann sich
gegen jeden unbequemen Geist (Martin Walser, Ernst Nolte) richten, seine
Karriere zerstören, ihn zum angstvollen Schweigen bringen, so daß er mundtot
wird. Die Bewegung endet schließlich vorerst, wenn sie ihr Bauernopfer gefunden
hat. Waren dies nach der "Lichterketten"‑Bewegung einige
neonationalsozialistische Kleingruppen, so ist es nun die NPD, eine seit fast
40jahren bestehende Partei, die nie ernsthaft das politische System auch nur
ansatzweise gefährden konnte. Übrigbleibt die quälende Ungewißheit, ob das
Bauernopfer das Ergebnis der Kampagne war oder die Kampagne nur als
Legitimierung des Bauernopfers initiiert worden war. In folgenden Kampagnen
könnten die Bauernopfer DVU oder Republikaner heißen.
Dennoch existieren heute auch
Unterschiede zur "Lichterketten"-Bewegung. Waren damals noch die
Blutopfer real verortbar ‑ durch die auf den Bildschirmen in jedes
Wohnzimmer flimmernden schockierenden Bilder der Kinder aus den
Asylantenheimen, die durch die Brandbomben verletzt oder getötet wurden ‑,
so wurde die jetzige Kampagne ohne hinreichenden Anlaß aufgenommen. Das
Blutopfer, die Verletzten des Düsseldorfer Anschlags, konnte keinesfalls
rechtsgerichteten Tätern zugeschrieben werden, sondern wurde nur als Aufhänger
vorgeschoben. Man konnte also bei dieser zweiten bundesdeutschen Großkampagne
gegen den "rechten Feind" erkennen, daß konkrete Anlässe anscheinend
zur Mobilisierung der Massen überhaupt nicht mehr notwendig sind. Die
Konditionierung auf "rechts = Gefahr" und "Ausländerzuzug =
gut" ist bereits so tief in die seelischen Schichten weiter
Bevölkerungsteile eingebrannt, daß man nur noch wahllos unzusammenhängende
Schlüsselbegriffe über die Medien zu verbreiten braucht (Was bitte hat
"Auschwitz 1945" wirklich mit dem NPD‑Verbot von 2000 zu tun,
wie es immer legitimierend behauptet wird?), und die Massen setzen sich
roboterhaft mit Spruchbändern "gegen Rechts" in Bewegung. Und wer
"wegschaut" (also nicht mitmarschiert) oder gar etwas dagegen sagt,
auf den beginnt die Masse mit dem Finger zu zeigen und laute Schreie der
Empörung auszustoßen.
Die Kampagne hat enorme
finanzielle Unterstützung von Regierung und Wirtschaft und stößt kaum noch auf
nennenswerten Widerstand in Medien oder unter skeptischen Politikern. Bei
letzteren überwiegt der Wille, sich durch bequemes Mitschwimmen im Strom zu
profilieren und auf keinen Fall durch unpopuläre Äußerungen die Finger zu
verbrennen. Bei den Medienvertretern besteht heute weitenteils Denkfaulheit.
Ihnen fehlt die nötige Sensibilität für die Erkenntnis, in welcher Weise
mittels "antifaschistischer" Kampagnen zunehmend Bürgerrechte
ausgehöhlt werden.
Hier rächt sich auch die nur
mangelhafte öffentliche Beschäftigung mit der Praxis des DDR‑Herrschaftssystems,
das sehr oft nur als Staat der klapprigen Trabbis, braun gemusterten Tapeten
und obskuren Ost-Produkte verniedlicht wurde. Schon einmal in der deutschen
Geschichte wurde schließlich der "Antifaschismus" gegen
"Rechts" als Legitimationsgrundlage eines unterdrückerischen
politischen Systems herangezogen. Nicht von ungefähr ist die PDS durch ständige
Präsenz auf den gegenwärtigen Demonstrationen und Veranstaltungen bemüht, sich
als akzeptierter Machtfaktor und Bündnispartner zu etablieren.
Zur Mobilisierung der eigenen
Anhängerschaft und als Anerkennung für die Mitläufer gibt es zwar keine Orden
mehr, dafür aber verbale Belohnungshäppchen. Wer möchte sich nicht in einer
gänzlich unheroischen Gesellschaft einmal als Held erkennen, als einer, der
seinem Alltag als Zahnrad der Arbeits‑ und Vermarktungswelt wenigstens
für einige Stunden entfliehen und sich mit etwas Glück gar nachträglich im
Fernsehen bewundern kann? Wer möchte sich nicht einmal wie Rosa Luxemburg,
Georg Elser und Heinrich Böll in einem fühlen? So kommt es zu irrwitzigen
Situationen. Weil in irgendeinem entlegenen Stadtviertel 200 trommelnde
Glatzköpfe gegen die in ihren Augen lügende Presse demonstrieren, versammeln
sich 30.000 "entschlossene" Gegendemonstranten, um sich gegenseitig
ihren Mut und ihre "Zivilcourage" zu bestätigen. Merkwürdig, von
"Zivilcourage" zu sprechen, wenn alle politisch Mächtigen, die
Stadtoberen, sämtliche Kirchen und relevanten Parteien, die Gewerkschaften wie
die Arbeitgebervertreter mitmarschieren und einem anerkennungsvoll auf die
Schulter klopfen, wenn auf jeden Gegner etwa 1.000 Gesinnungsfreunde kommen.
Ist "Zivilcourage" im bundesdeutschen Neusprech möglichenfalls ein
anderes Wort für das, was man früher "Mitläufertum" nannte? Und die
200 einsamen, hilflos Parolen skandierenden "Rechtsextremisten"? Man
muß sie nicht mögen, ihre Methoden oder ihre Absichten nicht gutheißen, aber
eines kann man ihnen nicht absprechen: Echte "Zivilcourage" im alten
Sinne des Wortes gehört schon dazu, in derartigen Zeiten, angesichts der
tausendfachen Anzahl von Gegendemonstranten, mit einem kleinen Häufchen offen
bekennend auf die Straße zu gehen.
Nur "Zivilcourage"?
Oder ist es möglichenfalls auch der Mut von Verzweifelten? Ohne das Auftreten
dieser Personen und ihre oft abstoßenden Parolen gutzuheißen ‑ aber haben
diese Menschen denn noch etwas zu verlieren? Ohne Zugang zu einem weitgehend
verriegelten Medienapparat, ohne parlamentarische Vertretung, ohne politische
Mitspracherechte sollen ihnen nun auch noch die demokratischen Grundrechte, zum
Beispiel das scheinbar "unerträgliche" Recht, eigene Demonstrationen
durchzuführen, genommen werden.
Nein, die Risiken für die
politische Kultur und die Bürgerrechte durch den repressiven Staat sind
offenkundig. Es besteht die Gefahr, daß, sich die Bundesrepublik schleichend
zu einer kapitalistischen DDR wandelt ‑ ohne daß es die Bürger zu
bemerken scheinen. Nun, solange das Brot gebacken wird, das Bier fließt und die
Spiele des Volkes auf dem Jahrmarkt, der Arena oder im Fernsehen feilgeboten
werden, haben sich schon seit jeher die meisten aus der Bevölkerung nicht für
das politische Geschehen interessiert, das nunmal immer von wenigen geleitet
wurde. Ein Fehler, der sich dereinst rächen könnte.
Keiner sollte überrascht sein.
Die Mechanismen des hier erkennbar werdenden "Neo‑Antifaschismus"
sind seit Jahren ersichtlich. Selbst diejenigen, welche heute Jammern und die
Verschärfung des politischen Meinungsklimas wahrnehmen, hatten seit der
"Lichterketten"‑Ära 1992/93 etwa acht Jahre Zeit, sich Gedanken
zu machen und die Situation richtig einzuordnen. Statt dessen war nur
Weitergewurstel angesagt. Das betrifft insbesondere das sogenannte konservative
Spektrum: Eine neue Partei hier, ein neues Luftschloß dort, eine markige Rede
am Stammtisch, 800 verklebte Plakate mit einer irrsinnig zündenden Parole, die
ebenso vielbeschworene wie utopische "Einheit der Rechten", die
Hoffnung, ein warmes Plätzchen am Katzentisch der Union erlangen zu können, der
Glaube, daß alles schon nicht so schlimm kommen werde, die Rettung durch ein
neues Projekt nur kurz bevorstünde und so weiter und so fort. Aber bloß keine
tiefgehende Auseinandersetzung mit der politischen Realität, mit den
erkennbaren Machtverhältnissen, der gesellschaftlichen Entwicklung, den
Theorien und Strategien der politischen Gegner, mit den eigenen, im Grunde nur
minimalen Möglichkeiten, Einfluß auf die alle gewachsenen Strukturen umwälzende
Raserei des Kapitalismus zu nehmen.
Vielleicht hat die Menschheit
wirklich nichts aus der Geschichte gelernt. Heute richtet sich die Repression
wieder einmal gegen das "Böse", das aus der Gesellschaft
ausgeschieden werden muß. In einer "multikulturellen Gesellschaft",
in der der Fremde positiv besetzt wird, also nicht als Sündenbock herhalten
kann, kann sich die Repression nur gegen den Einheimischen wenden, der sich
ängstlich Gedanken um die Erhaltung seiner Heimat macht.
Claus M. Wolfschlag hat Geschichte, Kunstgeschichte und Politik in
Frankfurt am Main studiert und ist publizistisch tätig. 1998 hat er das Buch
"Bye, bye '68... Renegaten der Linken, APO‑Abweichler und allerlei
Querdenker berichten" herausgegeben.
Quelle:
JUNGE FREIHEIT vom 17. November 2000, Seite 14
Anmerkung: Dazu fällt mir noch ein, was der geschäftsleitende Beamte des
Petitionsausschusses des schleswig-holsteinischen Landtages zu einem der am
schwersten gebeutelten Justizopfer der Republik gesagt haben soll: "Frau
Röhl, wann begreifen Sie endlich, daß Sie als Deutsche in Deutschland keine
Rechte haben!"