Mahagonny life
Mahagonny, wer denkt dieser
Tage nicht an Bertold Brechts wüste Stadt im Westen mit Fatty, dem "Prokuristen",
mit dem Dreieinigkeitsmoses und der fetten Begbick, der Korruption, dem
drohenden Taifun und der Untergangsmaxime "Erlaubt ist, was gefällt"?
Zumindest seit dem amerikanischen Wahlgrusical "Dr. Gore and Mr.
Bush". Einer gewinnt, der andere siegt . Wer die wenigeren Wahlmännerstimmen
hat, zweifelt die Lauterkeit des anderen beim Auszählen an. Die einen fühlen
sich betrogen, weil Schwarzamerikaner um Wahlzettel behumpst worden sind, die
anderen beantragen Nachzählung dort, wo die einen nur knapp führen.
Aber
Mahagonny liegt nicht nur im Wilden Westen, wo Brecht einen aufhängen läßt,
weil er die Whiskv‑Zeche nicht bezahlen kann: kein Geld zu haben, gilt
in Mahagonny als das schlimmste Verbrechen. Mahagonny ist überall. In Bonn zum
Beispiel, wo einer illegal Geld schnorrte, um seine Partei und damit sich an
der Macht zu halten. In Wiesbaden zum Beispiel, wo sie die angeblichen
Vermächtnisse gestorbener Juden gefälscht haben. mit deren angeblichem Geld
ausländische Schwarzkonten unterhielten, aus denen sie ihren Parteiapparat
finanzierten. Erst den jüngsten Wahlsieg sollen die heute Regierenden mit
Schwarzgeld erstritten haben.
Kein Geld zu haben, ist für
Parteien offensichtlich das schlimmste Verbrechen. In Düsseldorf flogen sie mit
Jets einer öffentlich‑rechtlichen Bank am Fiskus vorbei. In Saarbrücken
bediente sich ein Provinzgrande der Caritas-Gelder, um seinen Fußballverein,
dessen Vorsitzender er war, zu sanieren. In Dresden bremsten Obere Kripo und
Staatsanwalt, die einem mutmaßlichen Korruptionsfall auf der Spur waren. Der
Begünstigte ist befreundet mit einem noch Obereren, dem Obersten sozusagen. Und
in München spült es Akten hoch, denen zufolge sich ein gewisser
"Master" und sein "Maxwell" an Airbus‑Provisionen
gütlich getan haben sollen. Der eine ein seit zwölf Jahren toter bayerischer
Landesfürst, der andere sein flott lebender Filius, der die Vorwürfe natürlich
für "Quatsch" hält.
Derweil amüsiert sich das
gemeine Volk über einen koksenden Fußballgott, über eine verlassene schwangere
Seeräuber‑Jenny. Die Fun‑Gesellschaft ist los. Mahagonny ist
überall.
Fragt sich, wann der große
Taifun heran fegt und alle aus den Löchern treibt. Brecht gab sich gnädig,
vorläufig wenigstens. Denn der große Taifun bricht nicht aus. Fehlalarm. Und
die Gesellschaft versinkt in Zügellosigkeit. Der Untergang der Stadt Mahagonny
scheint unabwendbar. Mahagonny muss nicht untergehen. Einen vierten Akt könnte
man dem Brecht/Weill‑Opus anfügen. In dem bekennt Kohl seine Verfehlung,
legt sein Mandat nieder und verbringt seinen verdienten Lebensabend als
kontemplativer Philemon zusammen mit seiner Baucis auf der deutschen Einheitsbank.
Und Roland Koch zeigt die weiße Fahne, der Gelegenheitsflieger Rau predigt
weniger öffentliche Moral. Maxwell Strauß tritt endlich ins Glied, wo er
hingehört. Allein Klimmt nahm seinen Bußzettel reuig ernst. So eigentlich enden
Märchen, aber auch Brecht lässt ‑ im anderen Stück freilich ‑ den
Boten der Königin auftreten. Vielleicht backen ja auch die beiden
amerikanischen Präsidentschaftsprätendenten kleinere Brötchen. Nur, die
Wirklichkeit, ist die so?
Quelle: Erich Böhme in "Lübecker Nachrichten" vom
19.11.2000
Anmerkung: Vieles ist geschehen, seit Böhme diese treffende Kolumne
verfaßte. Hannelore Kohl flüchtete in den Selbstmord und Philemon hat ja auch
schon viel länger eine andere, die er in eine A 14 Planstelle hievte. Roland
Koch ist wieder oben auf, als wäre nichts geschehen; dafür läßt er aber auch
seinen hessischen Parteifreund Martin Hohmann über die Klinge springen. George
Whisky Bush hat gegen Dr. Gore gewonnen; schlimmer konnte es nicht kommen, aber
seine Hintermänner sind tatsächlich noch schlimmer. Allerdings: Max Strauß
steht zumindest wegen Steuerhinterziehung vor Gericht.
Wir appellieren an die Pädagogen in unserem Land, einmal jährlich einen
interdisziplinären Aufsatz schreiben zu lassen über das Thema: "Zeigen Sie
die Parallelen zwischen Brechts 'Mahagonny' und der bundesdeutschen Realität
des vergangenen Jahres auf". Vielleicht hilft dies ein wenig, den rasanten
Verfall abendländischer Kultur und Sitte in das Bewußtsein zu rufen. Denn:
Einsicht ist in jeder Beziehung der erste Weg zur Besserung.