Lästige Theatralik
Wenn Saul Friedländer
Äußerungen Ernst Noltes zum Anlaß nimmt, eine Abendgesellschaft demonstrativ zu
verlassen, wenn Philipp Jenninger wegen einer ganz normalen Politikerrede als
Bundestagspräsident zurücktreten muß, weil eine Dame jüdischer Herkunft eine
mißdeutete Reaktion zeigt, wenn die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin
Heide Simonis geb. Steinhart gegenüber dem vom Landgericht Dresden zu zwölf
Jahren Zuchthaus verurteilten Ignatz Bubis in einem liebedienerischen Brief die
Walser-Rede als 'skandalös' bezeichnet und wenn Frau Spiegel - die Gattin des
Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland - ein Weinkrampf
überkommt, als Rechtsanwalt Dr. Busekist wahrheitsgemäß davon berichtet, daß er
als junger Soldat in Auschwitz keine Stätten der Vernichtung wahrgenommen habe
(weil die Nazis diese versteckt und getarnt errichtet hatten), dann wissen wir,
was die Stunde geschlagen hat. Auch spektakuläre Auftritte höchster
Betroffenheit schleifen sich ab, verlieren ihre psychologische Wirkung, laufen
Gefahr, sich in der Wirkung in das Gegenteil zu verkehren und von den
Adressaten eventueller Schuldzuweisungen immer häufiger als lästige Theatralik
empfunden zu werden.
Quellen: Prof. Dr. Ernst Nolte in Leserbrief an 'DIE ZEIT' vom 1.8.1986 /
Dr. Heinz Nawratil: "Der Fall Jenninger" in Rolf-Josef Eibicht (Hg.):
"Unterdrückung und Verfolgung Deutscher Patrioten. Gesinnungsdiktatur in
Deutschland?", Viöl 1997, S. 291 ff / Frank Schirrmacher (Hg.): "Die
Walser-Bubis-Debatte", Frankfurt am Main 1999, S. 519