In der
Vergangenheit wurde immer wieder die Abschaffung des Verfassungsschutzes
gefordert. So forderten Die Grünen noch 1998 in ihrem Wahlprogramm,
dass alle deutschen Geheimdienste schrittweise aufzulösen seien.
Gelegentlich
lieferte das BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) aufgrund seines
Verhaltens Anlass zur Kritik der breiten Öffentlichkeit: So startete man im
Jahre 1976 einen mehrmonatigen „Lauschangriff”
auf den des RAF-Terrorismus verdächtigten ehemaligen
Atom-Manager Klaus Traube, der in der Öffentlichkeit als „Lauschaffäre Traube” bekannt wurde. Der
Terrorismusverdacht erwies sich als falsch, der damals verantwortliche
Innenminister Werner Maihofer musste zurücktreten.
Ebenso
machte das BfV im Rahmen des Verbotsverfahrens gegen die NPD von sich Reden. Ein
wesentlicher Grund warum das Verbotsverfahren scheiterte, ist, dass das
Bundesamt für Verfassungsschutz sich in Übereinstimmung mit dem
verantwortlichen Innenminister Otto Schily
weigerte, mitzuteilen, welche Parteiaktivitäten von der Partei selbst und
welche vom Verfassungsschutz beziehungsweise durch in den Parteiapparat als
Funktionäre eingeschleuste Vertrauenspersonen des Verfassungsschutzes initiiert
wurden. Da das Bundesverfassungsgericht somit nicht beurteilen konnte, welche
Handlungen der Partei originär zuzurechnen waren und für welche Aktivitäten
indirekt der Verfassungsschutz mitverantwortlich war, lehnte es den Antrag auf
Verbot der NPD ab.
Unwidersprochen
blieb die Agentur-Meldung der dpa,
dass etwa jeder siebente Funktionsträger in der NPD-Leitungsebene vom Kölner
Bundesamt finanziert wird.
Ein
wichtiger Kritiker der Verfassungsschutzpraxis ist der Staatsrechtler Dietrich Murswiek.
In verschiedenen Publikationen setzte er sich mit der Problematik des
Grundrechtseingriffs durch Verfassungsschützer auseinander. (Dietrich
Murswiek: Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe -
Zur Wirtschafts- und Meinungslenkung durch staatliches Informationshandeln, in:
Deutsches Verwaltungsblatt 1997, S. 1021-1030; Dietrich Murswiek: Der
Verfassungsschutzbericht – das scharfe Schwert der streitbaren Demokratie. Zur
Problematik der Verdachtsberichterstattung, in: Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht (NVwZ) 2004, S. 769-778; Dietrich Murswiek: Meinungsäußerungen
als Belege für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung. Zu den rechtlichen
Anforderungen und zur Praxis der Verfassungsschutzberichte, in: Stefan Brink /
Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg): Gemeinwohl und Verantwortung. Festschrift für
Hans Herbert von Arnim zum 65. Geburtstag, Duncker & Humblot, Berlin 2004,
S. 481-503; Dietrich Murswiek: Neue Maßstäbe für den Verfassungsschutzbericht -
Konsequenzen aus dem JF-Beschluss des BVerfG, in: Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht (NVwZ) 2/2006, S. 121-128) Zuletzt hatte er sich im
Dezember 2006 auf einer Tagung zum Thema "Islam und
Verfassungsschutz" zu diesem Themenkomplex geäußert und die Praxis der
Verfassungsschutzberichte erneut kritisiert. (Dietrich
Murswiek, Der Verfassungsschutzbericht - Funktionen und rechtliche
Anforderungen, gekürzte Fassung eines Vortrages, gehalten auf der Tagung
"Islam und Verfassungsschutz" am 7.12.2006 in der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster. Im Internet abrufbar als PDF.
Der Text ist erscheinen in: Janbernd Oebbecke / Bodo Pieroth / Emanuel Towfigh
(Hrsg.), Islam und Verfassungsschutz (Islam und Recht Bd. 6), Peter Lang, Frankfurt
u.a. 2007.) Murswieks Kritik richtet sich dabei vor allem gegen die
sog. "Verdachtsberichtserstattung": „In den meisten
Verfassungsschutzberichten wird nicht nur über erwiesene Verfassungsfeinde
berichtet, sondern auch über solche Organisationen, die von der
Verfassungsschutzbehörde lediglich verdächtigt werden, verfassungsfeindliche
Bestrebungen zu verfolgen. Diese Praxis ist rechtswidrig. Sie findet in den
Verfassungsschutzgesetzen keine Grundlage und verstößt zudem gegen das
Grundgesetz.“ (Murswiek, Der Verfassungsschutzbericht, S. 3). Voraussetzung
für die Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht sei laut den
Verfassungsschutzgesetzen nämlich, dass es sich bei den Organisationen, über
die berichtet werde, um Organisationen handele, die tatsächlich extremistische
Bestrebungen verfolgten und nicht um solche, bei denen es nur tatsächliche
Anhaltspunkte dafür gäbe, dass sie möglicherweise solche Bestrebungen verfolgen
könnten. Der Verfassungsschutz dürfe im Verfassungsschutzbericht also nicht
über alle Organisationen berichten, die er rechtmäßig beobachte. Tatsächlich
habe das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg deshalb für Berlin die
Verdachtsberichtserstattung verboten. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf und das
Oberverwaltungsgericht Münster sowie das Bundesverfassungsgericht erklärten sie
dagegen für zulässig (Nachweise in Murswiek, Der Verfassungsschutzbericht, S.
4ff.). Wenn man die Verdachtsberichtserstattung aber für zulässig erachte, so
muss laut Murswiek sichergestellt sein, dass in den Berichten die
Unterscheidung von Fällen erwiesener Verfassungsfeindlichkeit und von
Verdachtsfällen möglich sei. Zwar habe der Verfassungsschutzbericht des Bundes
aus dem Junge-Freiheit-Urteil des
Bundesverfassungsgerichts mittlerweile Konsequenzen gezogen, indem er seine
Rubriken ausdrücklich als "Bestrebungen und Verdachtsfälle"
kennzeichne, die gegenwärtigen Verfassungschutzberichte genügten aber auch
unter diesem Aspekt nicht den Anforderungen des Grundgesetzes. Es dürfe in der
amtlichen Berichterstattung im Sinne einer "negativen Sanktion" keine
"Herrschaft des Verdachts" herrschen: "Die
Verfassungsschutzgesetze sowie die vom Bundesverfassungsgericht für den Verfassungsschutz
aufgestellten Kriterien lassen nicht zu, daß die Berichterstattung nur auf den
Verdacht eines Verdachts gestützt wird." (Murswiek, Der
Verfassungsschutzbericht, S. 14).
Für
besonders problematisch hält Murswiek die Praxis der Verfassungsschutzberichte,
"Kaskaden des Verdachts" (Dietrich Murswiek,
Verfassungsschutz - Mitarbeit als staatsbürgerliche Obliegenheit? Im Internet
abrufbar als PDF.
Der Text wird erscheinen in: Gedächtnisschrift für Dieter Blumenwitz. Verlag
Duncker und Humblot, Berlin 2007) aufzubauen: "Der
Verfassungsschutz bekämpft also Organisationen, für die er lediglich
Anhaltspunkte dafür hat, daß sie verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen,
genauso wie erwiesene Verfassungsfeinde, und er setzt sein
Sanktionsinstrumentarium auch gegen diejenigen ein, die sich - weil sie den
Verdacht nicht teilen - an der Ausgrenzung dieser des Extremismus lediglich
verdächtigten Organisationen nicht beteiligen. Schon die erste Stufe - die
Bekämpfung auf Verdacht hin - ist rechtsstaatswidrig. Die zweite Stufe, die
Verdächtigung und Bekämpfung auch desjenigen, der den auf der ersten Stufe
Verdächtigten nicht ausgrenzt, ist noch schlimmer. Konsequent weitergedacht,
muß jetzt auch der auf der zweiten Stufe Verdächtigte ausgegrenzt werden, und
wer das nicht tut, gilt wiederum als ausgrenzungsbedürftiger Extremist. So
lassen sich Kaskaden des Verdachts konstruieren." (Murswiek,
Vefassungsschutz - Mitarbeit, S. 18).
Quelle:
http://de.wikipedia.org
Anmerkung:
Es bleibt nachzutragen, daß nicht nur DIE GRÜNEN, sondern auch die PDS und
sogar einige hochkarätige Sozialdemokraten die Abschaffung des
Verfassungsschutzes gefordert haben. Oft erlahmt allerdings der liberale und
demokratisch-rechtsstaatliche Eifer, wenn man an die Macht kommt, weil der
Verfassungsschutz ja nicht nur ein Einfallstor der Interessenwahrnehmung
einiger Siegermächte des Zweiten Weltkriegs (geblieben) ist, sondern auch ein
Machtinstrument gegen die Opposition, sei sie nun parlamentarisch oder nicht.
Was
Klaus Traube anbetrifft, kann auf auf den Beitrag „Fall Traube“ verwiesen
werden. Der Skandal war besonders prekär und konnte nur mit Rücktritt eines
Bundesministers „gesühnt“ werden, weil Traube jüdischer Abkunft ist. Sonst
scheint man bei den – teilweise existenzvernichtenden – Fehlgriffen der
Inlandsschlapphüte nicht so pingelig zu sein.