Miesmacher - volkspädagogischer Katechismus - nationalmasochistische Entbehrungen -

Ödnis der Merkel-Republik und

Heinrich von Kleistens Vaterlandsliebe

 

(...) Heinrich von Kleist wies in seinem "Katechismus der Deutschen" empört die Unterstellung zurück, er liebe sein Vaterland "weil es Gott gesegnet hat mit vielen Früchten, weil schöne Werke der Kunst es schmücken, weil Helden, Staatsmänner und Weise, deren Namen anzuführen kein Ende ist, es verherrlicht haben". Da seien Rom und Ägypten den Deutschen doch weit überlegen gewesen. Nein, er liebe sein Vaterland, eben "weil es mein Vaterland ist". Inzwischen sind zweihundert Jahre vergan­gen und jedes Schulkind kann heute einen anderen, volkspädagogisch wert­volleren Katechismus herunterbeten, warum die Vaterlandslie­be die Wurzel allen Übels ist.

 

Die Sache hat nur leider den Haken, daß derart depressiv gemachte Individuen schlechte Konsumenten sind. Der via WM entfesselte Fahnenschwenkerrausch, auf den die von nationalmasochistischen Entbehrungen ausgelaugten Deutschen sich stürzten wie auf eine Oase in der Wüste, hat dementsprechend den Markt angekurbelt. Daß die deutsche Identität außerhalb der WM‑Saturnalien nicht unbedingt ein Honiglecken ist, zeigt sich unter anderem auch in den sinkenden Geburtenraten. Da sich auch das auf die Kasse auswirkt, werden hin und wieder skrupellose Werbegenies von der Leine gelassen, die krampfhaft versuchen, der geistig‑kulturellen Ödnis der Merkel‑Republik irgendeinen Funken von wirtschaftsnötigem Lebenswillen abzupressen.

 

"Deutsch sein" bedeutete einst nach Richard Wagner, "eine Sache um ihrer selbst willen zu tun". Auch das ist lange vorbei. Früher waren wir anständige Leut', aber so blöd sind wir nimmer! Die Knete muß stimmen, und das "Deutsche" soll so unverbindlich und universal applizierbar sein wie ein Preiskleber. Mit traumatischem Widerwillen erinnert man sich an die "Du bist Deutschland"‑Realsatire, in der so mitreißende Identifikationsangebote wie Beate Uhse und Alice Schwarzer mit den unvermeidlichen Holocaust‑Stelen, Kopfsockentürken und schwarzafrikanischen Fußballern kombiniert wurden. Pornographie, Bewältigungszerknirschung, Multikulti und Linksliberalismus als die Säulen eines neuen Gute‑Laune‑Patriotismus?

 

Das ist bei weitem nicht alles, worauf wir stolz sein können, versichert uns Florian Langenscheidt, Erbe des gleichnamigen Wörterbuch‑Imperiums und Herausgeber von "Das Beste an Deutschland". Mit öligem Lächeln, windiger Frisur, routiniertem Optimismus und aufreizend selbstsicherer Siegertyp‑Pose blickt er den mutlosen deutschen Michel auf den Vorwortseiten an, um ihm auf, die Schulter zu klopfen und die getrübten Augen für die beste aller Bundes­welten zu öffnen. Die Innenseite des Buch­deckels ruft richtungsweisend die angeblichen "Glücksmomente der Deutschen" ins Gedächt­nis, darunter so euphorisierende Knal­ler wie: "Günter Grass erhält den No­belpreis". "Gerhard Schröder sagt 'Nein' zum zweiten Golfkrieg". "Das Maut‑System funktioniert". "Der Transrapid wird tatsächlich gebaut". "Christo und Jeanne‑Claude verhüllen den Reichstag". "Die Lichterkette 1992". "Alt‑Bundespräsident Rau hält in deutscher Sprache seine bewegende Rede vor der Knesset". Wer es schafft, allein schon diese Aufzählung ohne Magenverstimmung und Suizidgedanken zu überstehen, darf seine Widerstandskraft an Langenscheidts einleitendem Text testen, einem wahren Meisterstück an abgedroschener, beinah selbstparodistischer Werbeheft‑Prosa. Hier prasselt näm­lich ein wahrer Regenguß weich­gespülter nationalliberaler Platitüden auf den Leser herab. "Der Dalai Lama", heißt es da, "sagt sehr deutlich: Das Glück liegt in uns. Haß, Wut, Angst und schlechte Laune verengen unser Sichtfeld." Wir sollten wieder mehr "lächeln". "Wir sind ­Deutschland. Wir entscheiden, ob das Land klagend und schlechtgelaunt im Mittelmaß versinkt oder ob es souverän und selbstbewußt im Chor der Nationen an einer bes­seren Welt mitarbeitet." Letzteres heißt aber glück­licherweise nicht, daß wir von nun an einen auf­rechten Gang annehmen müßten. (...)

 

Quelle: Michael Kreuzberg in JUNGE FREIHEIT vom 14.7.2006 (Auszug aus "Pandämonium bundesdeutscher Geistlosigkeit")

 

Anmerkung: Ein wirklich gelungener Verriß von Langenscheidts "Deutsche Standards - Das Beste an Deutschland. 250 Gründe, unser Land heute zu lieben".