Karger Geröllboden
Charlotte Knobloch und der neue Satanskult
Schwachsinnig meint der
ursprünglichen Wortbedeutung nach "mit schlechten Wahrnehmungsorganen
geschlagen": schlechtes Nachsehen, schlechtes Zuhören, schlechtes
Vergleichen. Insofern waren bestimmte, letzte Woche bekanntgewordene Auslassungen
von Charlotte Knobloch, der neugewählten Vorsitzenden des Zentralrats der Juden
in Deutschland, tatsächlich schwachsinnig. Hoffentlich läßt sich das heilen.
Frau Knobloch sagte (laut
Presseagentur AP), daß im deutschen Bildungswesen das Thema
"Holocaust" viel zu wenig behandelt werde und daß man das umgehend
ändern müsse. Das ganze Unterrichtswesen sollte deshalb umgestellt werden.
Zitat Knobloch: "Es ist dringend notwendig, den Geschichtsunterricht neu
zu gestalten, weil das Thema Nationalsozialismus darin viel zu kurz kommt."
Knobloch plädiert dafür, den
Nationalsozialismus regelrecht aus dem regulären Geschichtsunterricht
auszugliedern und daraus ein eigenes Schulfach zu machen. "Das müßte
gesetzlich so geregelt werden, daß es bundesweit gilt", sagt sie. Denn nur
so könne die kontinuierliche Finanzierung des Projekts gesichert werden.
Außerdem müsse die Lehrerausbildung in Hinblick auf das Projekt
"vollkommen neu" konzipiert werden, was immer das im einzelnen heißen
mag.
Es kann an sich nur heißen,
daß die "normalen" Geschichtslehrer, zumindest ab einer gewissen
Lehrplanstufe, durch extra ausgebildete, respektive eingewiesene (und
hochdotierte) "Holocaustlehrer" ersetzt werden. Diese dozieren dann
nicht nur über die Ereignisse in den Jahren zwischen 1933 und 1945, sondern
betreiben auch Ursachen-Darstellung, Völkerpsychologie, Ethnologie und
dergleichen, d.h. sie rollen den ganzen Geschichtsprozeß noch einmal nach
hinten auf und setzen dabei die "richtigen", nämlich durch endgültige
Forschung festgelegten und durch Strafgesetze vor Aufweichung geschützten
Akzente.
Eine gespenstische Perspektive
tut sich auf: der Geschichtsunterricht als Dogmenpaukstunde, als ein
Religionsunterricht ohne Gott und selbstverständlich für alle Schüler
obligatorisch, ja überobligatorisch, dergestalt, daß die Noten, die in diesem
Fach verteilt werden, für jeden Abgänger lebensentscheidend sein würden, über
seine künftigen KarriereChancen mehr entschieden als jedes Spezialfach,
Mathematik etwa, Fremdsprachen oder Musik.
Hätten solche Pläne Aussicht
auf Verwirklichung, dann ginge eine wahrhaft wichtige Sache endgültig den Bach
hinunter: der schulische Geschichtsunterricht als Freiheitsangebot, als
Aufforderung zum eigenen Forschen und unvoreingenommenen Sichvertiefen in die
Abenteuer der Altvorderen und in die originalen Quellen, die darüber Auskunft
geben. Ein derartiger Geschichtsunterricht stand einst ebenbürtig neben dem
gleichzeitig aufkommenden Naturkundeunterricht, Physik und Chemie. Er war eine
große Errungenschaft der Aufklärung, vielleicht die größte.
Bedroht war diese Errungenschaft
schon immer. Pfaffenschaften der unterschiedlichsten Couleur, diktatorische
Regimes, zeitgeist‑beflissene Schulaufsichtsbehörden mischten sich ein
und verlangten ihr Pfund Fleisch. Immer aber fanden sich genügend
Geschichtslehrer, die die behördlichen Auflagen erfolgreich zu umschiffen
wußten und mit wahrer Begeisterung, exzellentem Wissen und echtem historischen
Sinn für farbige Abläufe und dramatische Zuspitzungen Zeugnis gaben Von dem,
was wirklich passiert war. Genau aus diesem Humus erwuchsen die großen
neuzeitlichen Geschichtsforscher, von Ranke bis Mommsen (Theodor), von Droysen
bis Mann (Golo).
Heute erwachsen aus dem
Geröllboden unseres ‑ Charlotte Knobloch zum Trotz ‑ längst zur
öden Dogmenpaukstunde entarteten Geschichtsunterrichts höchstens noch dümmliche
kleine Denunziations‑Storys der Enkelgeneration mit Titeln wie "Und Opa
war doch ein Nazi". Der Sinn und das Interesse für historische Forschung
ist vollkommen verkümmert, man weiß nichts, nur alles besser, und die infantile
Ignoranz breitet sich immer weiter aus, im selben Takt, in dem immer mehr
Forschungsgebiete offiziell für "endgültig erforscht" erklärt werden
und die Forschungsergebnisse nur noch mit harmlosen Details angereichert werden
dürfen.
Um die Misere zu beheben, wäre
genau der gegenteilige Weg zu dem, den Frau Knobloch weist, einzuschlagen.
Holocaust und Nationalsozialismus sollten nicht aus dem Geschichtsunterricht ausgegliedert
und zu einem eigenen Fach aufgebläht werden, sondern sie sollten mit größtem
Überblick in den allgemeinen Unterricht eingefügt werden. Jede
Eindimensionalität beim Erklären und Ursachen‑Erforschen ist, gemäß dem
wahren Geist geschichtlicher Forschung, zu vermeiden. Alle zur Verfügung
stehenden Quellen müssen erschlossen, alle überlieferten Stimmen angehört und
sorgfältig miteinander verglichen werden.
Die geforderte Forcierung des Unterrichts über den Nationalsozialismus
kann nur in einer strikten Verwissenschaftlichung und Historisierung dieses
Unterrichts bestehen. Andernfalls würde sie zur Etablierung eines
"neuen Fachs" führen, das wohl kaum jemand will: einer Art negativem
Satanskult, mit dem sterblichen Menschen A. H. als quasi‑göttlichem
Überdämon, als geradezu gnostischem Gegenwurf gegen die Schöpfung, wie sie nun
einmal ist, womöglich noch mit dem Bedeuten, daß alle, die an dieser ‑ streckenweise
doch recht miserablen - Schöpfung etwas kritisieren oder gar ändern wollen,
automatisch des Teufels seien.
Unsere Schulbehörden müßten
nicht nur schwachsinnig, sie müßten verrückt sein, wenn sie bundesweit ein
solches Fach installierten. Freilich, zuzutrauen wäre es einigen.
Glücklicherweise steht dem (bisher noch) der deutsche Bildungsföderalismus
entgegen ‑ und, last but not least,
die Knappheit der öffentlichen Kassen. Die Chancen stehen gut, daß dieser Kelch
an uns vorübergeht.
Quelle: Prof. Dr. Günter Zehm ("Pankraz") in JUNGE FREIHEIT vom
14. Juli 2006 (Hervorhebung vom Bearbeiter)