In den Wind gepredigt
Seit Jahren rechnet der
Bevölkerungswissenschaftler Prof. Herwig Birg den Politikern die Folgen einer
seit Jahrzehnten fehlenden Bevölkerungspolitik vor.
Auf einer Veranstaltung der
CDU-nahen Konrad‑Adenauer-Stiftung Mitte März in Mainz wiederholte er
seine Warnungen, doch es scheint, daß er nach wie vor in taube Ohren predigt.
»Die deutschen Sozialsysteme
sind aufgrund der niedrigen Geburtenrate nicht mehr zu retten«, stellte er sehr
nüchtern fest. In Zukunft seien Verteilungskämpfe ungeahnten Ausmaßes zu
erwarten.
»Wirtschaft und Sozialsysteme
brauchen Investitionen in eine mittel- und langfristige Zukunft. Für Menschen
ohne Kinder endet die Zukunft mit dem Ende ihres Lebens«, beschreibt er das
Problem. Ihnen fehle damit die Bereitschaft, langfristig zu investieren: »Da
immer mehr Deutsche keine Kinder bekommen, werden die Investitionen und
Lösungsvorschläge immer kurzfristiger.«
Im Jahr 2050 stünden 100
Personen im Alter von 20 bis 59 Jahren ungefähr 90 über Sechzigjährige gegenüber.
Durch den sprunghaft
steigenden Altersdurchschnitt würden künftig alle Bereiche vom Arbeitsmarkt bis
zu den Sozialversicherungssystemen betroffen sein. Die Krankenversicherung z.B.
werde »zu einem Test, der nicht bestanden werden kann.«
»Es ist schon 30 nach Zwölf,
die Politik hätte längst einschreiten müssen, um den Prozeß zu stoppen. Wir
brauchen eine Großtat ähnlichen Kalibers wie die Erfindung der Sozialsysteme
von Bismarck«, beschwor er die Zuhörer.
Was aber tun die Politiker? Die Antwort erspare ich mir.
Quelle: Sabine Möller in den UNABHÄNGIGEN
NACHRICHTEN 5/2006/2
Eine kranke Gesellschaft
Ich versichere ‑ das
heißt auf gut Deutsch: Ich sage die Wahrheit. Doch bei der Rentenversicherung
ist schon der Begriff eine Täuschung.
Viele haben geglaubt, sie
zahlen dort Geld ein, das angelegt wird und ihnen im Alter zugute kommt.
Tatsächlich aber werden die Beiträge sogleich an die Rentner von heute
ausgezahlt ‑ und weil das Geld nicht reicht, kommen noch Steuermittel
oben drauf, fast 80 Milliarden Euro, ein Drittel des gesamten Bundeshaushaltes.
Daß diese Rechnung irgendwann
nicht mehr aufgeht, wenn die Zahl der Söhne und Töchter abnimmt, wenn immer
weniger Menschen arbeiten und Sozialbeiträge bezahlen, wenn die Wirtschaft kaum
wächst, wenn die Alten immer mehr werden und immer älter, das war klar.
Schon Wilfrid Schreiber vom
Bund Katholischer Unternehmer, der in den 50er Jahren den "Generationenvertrag"
erfand, schlug vor, daß Unverheiratete und Kinderlose doppelten Beitrag zur
Rentenversicherung bezahlen. Adenauer lehnte dies ab mit den Worten
"Kinder kriegen die Leute sowieso". Ein Irrtum, wie sich heute zeigt.
Niemand muß sich dafür
rechtfertigen, keine Kinder zu wollen (...)
Aber
genau so wenig kann jemand erwarten, daß die Kinder anderer Leute später voll
und ganz für seine Rente aufkommen. Wer aber soll morgen für ihn zahlen?
Laut einer aktuellen forsa‑Umfrage
im Auftrag des stern fänden es zwar
68 Prozent der Bundesbürger "sehr schlimm", wenn die Deutschen
aussterben würden. Bei den unter 30-Jährigen allerdings sind es nur 58 Prozent.
Und 17 Prozent der Befragten
mit Abitur und Studium sagen sogar, sie hätten überhaupt kein Problem damit,
wenn die Deutschen ganz verschwinden.
Eine Gesellschaft, in der so
vielen Jungen und Höhergebildeten die eigene Zukunft gleichgültig ist, kann auf
Dauer nicht funktionieren.
Quelle: STERN 13/2006 - Leitartikel des Chefredakteurs Thomas Osterkorn
(zitiert nach UN 5/2006/2)