Hafenstraße (1)
Brief der
Religionssoziologin Katharina Ehrenstein an die schleswig-holsteinische
Justizministerin Anne Lütkes (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Betr.: Liquidierung unseres Wohnheims
Sehr geehrte Frau Lütkes,
Sie
haben sicher von dem Brand 1996 im Asylbewerberheim in Lübeck in der
Hafenstraße gehört, von dem die meisten Leute glauben, daß die Bewohner ihn
selber gelegt haben, weil sie damit Kriminalität aus Drogenhandel verbergen
wollten. Im Parterre lag ein Afrikaner, der schon vor dem Brand tot war.
Es war
aber klar, daß der Brand von Rechten gelegt sein mußte und diese Rechten mußten
auf Biegen und Brechen herbeigeschafft worden. Am Tage nach dem Brand klingelte
bei mir das Telefon. Eine Stimmen, über die ich nur sagen kann, daß sie
weiblich, kalt, herrschsüchtig und hohl war, erklärte mir, daß ich den Brand
verursacht habe. Ich wußte zu dem Zeitpunkt überhaupt noch nichts davon. Dann
folgten all diese Schikanen, die man historisch Pogrome nennt. Der Verein (der
das im Betreff genannte Wohnheim für drogengefährdete Jugendliche betreibt, d.
Verf.) wurde aufgefordert sich von mir
zu trennen, andernfalls würde das Geld gestrichen. Diese machtbesessenen
"Herrschaften" wollen in solchen Situationen auch nur bedingungslosen
Gehorsam erleben, um zu sehen, daß ihr System noch funktioniert. Es ging um
Unterwerfung. Dann wurden Bedingungen gestellt, die nicht erfüllbar waren, so
wie in Grimms Märchen, als Aschenputtel mit einem Löffel einen See ausschöpfen
sollte. Man will in keinem Falle nachgeben, weil man ja selber weiß, daß die
eigene Autorität völlig hohl ist ‑ also muß sie brutal und unantastbar
sein. Dieser Tatsache verdanken ja auch Sie Ihr Amt, weil der Gerd Walter das
wohl nicht mehr ertragen konnte.
Es ist
aber nun Ihre Aufgabe "neue Straftatbestände" zu formulieren, die ein
neues Denken einleiten. Es muß strafbar sein, anderen Bedingungen zu stellen,
die nicht erfüllbar sind und bei Nichterfüllung für sie oder andere Beteiligte
zur Katastrophe führen müssen ‑ wie in unserem Falle. Selbstmorde von
Probanden, Vadalismus, 16 hochkarätige Brandstiftungen, Selbstzerstörung und
Obdachlosigkeit. Man kann aus Jähzorn keine soziale Idylle zerstören, um ein
solches Ergebnis zu erzielen. Ich glaube, das, was der Staat am Nötigsten
braucht, ist Haftung! Nicht anonym, sondern persönlich. Genau das, was man von
den Menschen im Dritten Reich verlangte , daß sie einsam und alleine die
moralische Tragweite ihres Handelns in weiten Dimensionen abschätzten. Das muß
man doch von hochdotierten Beamten unter den besten Lebensbedingungen erwarten,
z. B. von Herrn Dr. Müller‑Lucks.
gez.
K. Ehrenstein 22.6.2000