Alfred Grosser – Ludwig Börne – Henryk M. Broder
Welches
Verständnis der Focus von Pressefreiheit hat, durfte ich selbst einmal
erleben: in einer Rezension, die von der Redaktion angefordert
worden war, schrieb ich, dass ein Deutscher heute schnell Gefahr
laufe, als Antisemit abgestempelt zu werden, wenn er auf das schlimme Los der
Einwohner von Gaza, des Westjordanlands oder Ostjerusalems hinweist. Und
ich lobte das Buch Ich will nicht mehr schweigen. Über Recht und
Gerechtigkeit in Palästina von Rupert Neudeck, in dem dieser die israelische Besatzungspolitik
kritisiert.
Wegen
dieser Passage durfte meine Rezension nicht erscheinen. Und Neudecks Buch konnte in Frankfurt nicht vorgestellt werden,
weil die evangelische Kirche den dafür vorgesehenen Saal plötzlich nicht mehr
zur Verfügung stellen wollte. Zuvor hatte der Frankfurter Historiker
Arno Lustiger seine Freunde aufgerufen, die Veranstaltung, die israelische
Fahne schwingend, zu stürmen und zu sprengen. (...)
Broder
brandmarkt alle, die sich um das Leid der anderen sorgen. Als Jude fühle ich
mich verpflichtet, dieses Leid nicht zu ignorieren: so, wie ich mich nach 1945
verpflichtet fühlte, mich als jüdischer Franzose am Aufbau einer deutschen
Demokratie zu beteiligen, damit das erlittene deutsche Leid der Bombennächte
und der Vertreibungen nicht zu Selbstgerechtigkeit und zum Hass führen würde.
Broder dagegen bekämpft, im Einklang mit fanatisch pro-israelischen
Internetseiten ... so aggressiv wie möglich alle, die nicht so denken und
handeln wie er.
(...)
Helmut Markworts Entscheidung, Broder den Börne-Preis zu verleihen, missachtet
diesen Humanismus. Er beleidigt damit jene Grundwerte, aufgrund derer Ludwig
Börnes Name 1832 beim Hambacher Fest mit Begeisterung gefeiert wurde. Diese
Werte bildeten die Basis der ersten deutschen Verfassung, die 1848 in der
Frankfurter Paulskirche beschlossen wurde. Mit der diesjährigen Feier zur
Verleihung des Börne-Preises in der Paulskirche wendet man sich von ihnen ab.
Quelle: taz 3. 2. 2007 (Beleidigung des Humanismus. Falsche Wahl: Broder hat den Börne-Preis nicht verdient)