Galliger Speichel
Für das politische Klima in
Deutschland (alsbald nach Gründung der BRD, d. V.) ist die Stellungnahme zum
Politiker Thomas Mann ein gutes Barometer, da Mann den bürgerlichen
Antifaschismus wohl am reinsten verkörperte. Hatte man in der Mitte‑Links‑Epoche
die Ausbürgerung Thomas Mann's als »geistige Majestätsbeleidigung«
apostrophiert, so erschien jetzt zu seinem 75. Geburtstag in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung vom 6. 6. 1950 ein Geburtstagsartikel von Gerhard Nebel, in
dem es hieß, Mann sei ein »Exponent einer bis zur Dummheit gehenden Abneigung
gegen Deutschland«, der getrieben werde von der »Vernichtungslust in Form von
moralischen Urteilen«. Sein Haß sei »weltgeschichtlich nicht mehr aktuell«, er
gelte einer untergegangenen Gestalt des globalen Bürgerkrieges ... »Er ist Thomas
Manns private Lust und nichts anderes als die Außenseite einer maßlosen
Eitelkeit, wie sie sich nicht nur in jedem seiner sich in sich selbst
spiegelnden, sich selber Beifall klatschenden Sätze, sondern etwa auch in der
Behauptung ausspricht, er repräsentiere den deutschen Geist.« Der Clan Mann sei
eine Giftzisterne geworden und es tröste nur, daß die Zahl derer, die aus ihr
schöpften, immer geringer werde.
Doch nicht nur der zentralen
Gestalt des antifaschistischen Flügels wurde die Absage erteilt, auch der
bekannteste antitotalitäre Journalist Hans Habe (»Neue Zeitung«) wurde unter der Überschrift »Heraus aus
Deutschland mit dem Schuft«, von Henri Nannen (»Stern«) mit folgenden Worten
gefeiert: »Es war nichts als galliger Speichel, der aus diesem Maule troff, ob
es nun darum ging, aus Herrn Remer eine neue deutsche Weltgefahr zu
konstruieren, in Ägypten eine faschistische Verschwörung deutscher Generale zu
entdecken oder das Vorleben jedes Menschen zu begeifern, der im Dritten Reich
irgendwie einen Türsteherposten bekleidet hatte.«
Auch auf dem Gebiet der
Geschichtsschreibung und Publizistik begann sich das Bild rasch zu
differenzieren. Es war ein »Nachholbedarf« entstanden, der die von 1945‑49
unterdrückten Aspekte in das geschichtliche Bild einzuzeichnen versuchte. Das
Kulturleben wurde durch die Namen dreier Dichter und Philosophen beherrscht
(Ernst jünger, Martin Heidegger und Gottfried Benn), für die in den ersten Nachkriegsjahren
ein "literarisches Nürnberg" gefordert worden war. An die Stelle der
Anklage trat der Wunsch zu erfahren, wie es gewesen ist.
Quelle: "Charakterwäsche - Die Politik der amerikanischen
Umerziehung in Deutschland" von Caspar von Schrenck-Notzing, Frankfurt/Main
1996 (Neuauflage), S. 257 ff
Anmerkung: Anders als der "maßlos eitle" Thomas Mann, ist der
Produzent "galligen Speichels" den Nachgeborenen kaum noch bekannt.
Eigentlich hieß der 1911 in Budapest geborene Jude Habe "Janos
Bekessy". Er schloß sich als Jugendlicher den Kommunisten an. 1945 kam er
als US-Hauptmann nach Deutschland, wo er für die Erteilung der Presselizenzen
im Sinne der Umerziehung zuständig war. Der zum konservativen Leitartikler
Gewandelte war insgesamt sechs Mal verheiratet.