Ein freies Land ?

 

"Februar 1996: Auf Beschluß des Amtsgerichtes Starnberg wurden die Geschäftsräume der Verlagsgesellschaft Berg durchsucht: Unter anderem suchten die Beamten nach angeblich vorhandenen Büchern, die Anfang der 60er Jahre in Österreich erschienen waren. Da diese Bücher nicht im Verlag aufgefunden wurden, beschlagnahmten die Beamten einen Videofilm, der 1992 als Ansichtsexemplar von einem bekannten Grossisten geliefert worden war.

Februar 1996: Die Geschäfts- und Privaträume eines Verlegers in Vlotho wurden von rund 20 Beamten durchsucht, wobei - ungeachtet des Datenschutzes - alle Verlagsadressen und Computerprogramme überspielt und etliche Akten, sowie Bücher und Hefte beschlagnahmt wurden.

Februar 1996: Bei der Durchsuchung von 22 Wohnungen im Kreis Recklinghausen und in Lübenau bei Cottbus beschlagnahmten rund 150 Polizeibeamte zwei Lastwagenladungen voll mit politischen Druckschriften, einen Computer und Programme.

März 1996: Das Amtsgericht Mannheim beschlagnahmte die Bücher von Jan van Helsing, erschienen im Ewert-Verlag, welche sich mit der Thematik der geheimen Gesellschaften auseinandersetzen. Laut »Börsenblatt« war die Beschlagnahmeanordnung sämtlicher Exemplare bundesweit vollstreckbar. Neben Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen wurden gegen Buchhändler Verfahren wegen »Volksverhetzung« eröffnet und gegen den Autor ein Haftbefehl beantragt.

März 1996: Wegen einer Werbeanzeige gegen die Wehrpflicht, in der die Bundeswehr in die Tradition der deutschen Wehrmacht gestellt wurde, hatte die Polizei die Geschäftsräume der Tageszeitung TAZ in Berlin durchsucht. Festgestellt werden sollte der Auftraggeber der Werbung.

März 1996: In Mohrkirch wurden aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichtes Kappeln die Geschäftsräume des Lühe-Verlages durchsucht. Grund für diese Durchsuchung war das Vorrätighalten und Versenden der Bücher des Autoren J. G. Burg, in denen die staatlich festgelegte Geschichtsschreibung bezweifelt wird.

April 1996: Von rund 450 Polizeistellen wurden in ganz Deutschland etwa 1.000 Buchhandlungen nach Comics von Walter Moers und Ralf König und nach einem Sachbuch von Midas Dekkers durchsucht, ohne daß den Verlegern oder Buchhändlern ein richterlicher Beschluß dazu zunächst bekannt gegeben wurde. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft weigerte sich, an der Aktion teilzunehmen.

Mai 1996: Der Tübinger Grabert-Verlag teilte mit, daß zu diesem Zeitpunkt fünf Titel des Verlages verboten bzw. beschlagnahmt waren.

Mai 1996: Ein 74jähriger Buchautor und Versandbuchhändler wurde vom Schöffengericht Bad Neuenahr-Ahrweiler wegen Verbreitung seines Buches zu einer Geldstrafe von 24.000 DM verurteilt. Ein besonderer Höhepunkt der neuen Rechtsprechung: Da das Buch bereits vor Jahren erschien, war presserechtliche Strafverjährung eingetreten. Das Gericht erklärte deshalb das Buch für »jugendgefährdend« und bestrafte den Verfasser nicht als »Autor« sondern als »Versender«, weil man jugendgefährdende Bücher nicht im Versandhandel vertreiben darf und diese Straftat nicht verjährt war.

Mai 1996: Der Bundesanzeiger Nr. 100 teilte die Indizierung eines Buches des Verlages "Neue Visionen GmbH" aus der Schweiz mit, welches eine andere Geschichtsauffassung vertritt, als die staatlich festgelegte. Außerdem wurden zwei Schallplatten mit Tondokumenten aus der Zeit vor 1945 indiziert.

Mai 1996: Zum dritten Mal innerhalb von 14 Monaten fand eine Hausdurchsuchung bei VAWS in Bingen statt. Während es bei der ersten Durchsuchung um bis heute unbekannte Anschuldigungen gegen die Unabhängigen Nachrichten ging, suchten die Polizisten bei der zweiten Hausdurchsuchung CDs, die überall in Kaufhäusern angeboten wurden. Lediglich bei VAWS sah man darin eine Straftat. Bei der dritten Durchsuchung ging es um zwei Bände der Bücher von Jan van Helsing.

Juni 1996: Der Bundesanzeiger Nr. 119 vom 29. Juni 1996 teilte die Indizierung von zwei weiteren Schallplatten einer Düsseldorfer Firma mit, welche lediglich historische Tondokumente beinhalten.

Juni 1996: Beim »Buchdienst Südtirol« in Nürnberg führten Beamte der Polizei und des Landeskriminalamtes eine Hausdurchsuchung durch. Der Grund dafür war das Angebot einer Neuerscheinung von Serge Thion aus dem »Verlag der Freunde«, Berlin.

Juni 1996: Der Inhaber des Grabert-Verlages wurde als Verleger eines Buches vom Amtsgericht Tübingen zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 DM verurteilt, weil das Buch nicht der staatlich festgelegten Offenkundigkeit historischer Tatsachen entsprach.

Juni 1996: Zum zweiten Mal innerhalb von sieben Monaten veranstaltete die Staatsanwaltschaft im »Verlag der Freunde« eine Razzia. In der Ausgabe 1/96 der Zeitschrift 'Sleipnir' sollte jemand in »strafrechtlich relevanter Weise beschimpft« worden sein. Bei der Aktion wurden mehrere tausend Exemplare der Zeitschrift und andere Druckerzeugnisse beschlagnahmt.

Juli 1996: Bei dem Druffel-Verlag in Starnberg wurden mehrere Druckerzeugnisse beschlagnahmt oder gänzlich eingezogen, einige tausend Exemplare versiegelt. Es handelte sich dabei um Schriften, die sich kritisch mit der Justiz der Sieger des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzen.

Juli 1996: Der »Newsletter« der Bundesprüfstelle teilt mit, daß eine weitere CD eines Liedermachers aus Ehningen indiziert wurde (Bundesanzeiger Nr. 141, vom 31.7.1996).

Juli 1996: Mehr als 200 CDs und diverse Kassetten mit kritischem Inhalt hatte der Berliner Staatsschutz bei Durchsuchungen in einer Schallplattenfirma in Friedrichshain und in diversen Wohnungen beschlagnahmt. Gegen den 25jährigen Geschäftsinhaber sowie die vier Mitarbeiter im Alter zwischen 22 und 34 Jahren wurde unter anderem wegen "Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

August 1996: Am 7.8.1996 wurden die Geschäftsräume der Versandbuchhandlung 'Lesen und Schenken' in Kiel auf Antrag der Staatsanwaltschaft Kiel durchsucht. Es wurden drei Buchtitel eines fremden Verlages gesucht. Gegen den Firmeninhaber wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

August 1996: Die Polizei nahm unweit von Rheinsberg 26 Jugendliche fest, weil sie Lieder mit politischem Inhalt abgespielt hatten. Mehrere Kassetten wurden dabei beschlagnahmt.

Oktober 1996: Der Spiegel meldete am 21.10.96, daß die Staatsanwaltschaft Bayreuth ein Ermittlungsverfahren wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole" gegen einen Parteivorsitzenden eingeleitet hatte, weil dieser bei einer Rede im fränkischen Kulmbach von »Verfolgungs-« und »Polizeistaatsmethoden « in der BRD gesprochen hatte.

Dezember 1996: Nach 18 Berufsjahren als Versandbuchhändler wurde Wieland Körner aus Bremen zu einer Geldstrafe von 13.500 DM verurteilt, weil er mehrere Exemplare eines umstrittenen Buches aus dem Hohenrain-Verlag verkauft hatte.

1996 erhielten verschiedene Politiker, darunter Ministerpräsidenten und Innenminister, Drohbriefe mit angeblich rechtsextremistischem. Hintergrund. Als Absender wurden fiktive Organisationen wie eine »Großdeutsche Befreiungsfront« oder ein »Kommando Volkszorn Brandenburg« genannt. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim ermittelte den mutmaßlichen Täter: ein Staatsschutzbeamter der Kripo in Braunschweig. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden die Kollegen fündig. Sie fanden neben vergleichbaren Briefen auch 2.000 Schuß Munition, eine Präzisionsschleuder und Sprengstoff. Wegen solcher Drohbriefe eines »Staatsschützers« wurden über 30 Wohnungen von behördlich registrierten »Rechten« durchsucht. Eine der erfundenen Terrororganisationen, die »National-Autonomen Zellen«, tauchte 1994 sogar im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht auf.

Januar 1997: Am 30.1.1997 wurden in Berlin die Geschäftsräume der »linken« Tageszeitung »Junge Welt« durchsucht. Auch dort wurde, wie schon im Januar 1996 bei den 'Unabhängigen Nachrichten' durch die Beschlagnahme von Recherche- und Arbeitsmaterialien sowie eines Personalcomputers das Redaktionsgeheimnis faktisch außer Kraft gesetzt.

April 1997: Das Landratsamt Starnberg teilte dem Verleger Dr. Gert Sudholt mit, daß seine gewerbliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 35 GewO grundsätzlich in Frage gestellt sei, weil er als Gewerbetreibender wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilt, oder wegen einer Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld belegt worden sei (Volksverhetzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole). Wenn er also seine Publikationen nicht ändert, droht ein »Berufsverbot«.

Mai 1997: Eine Sonnwendfeier in einer Grillhütte wurde von einer Polizeihundertschaft umstellt, die Teilnehmer und Anreisende durchsucht - und das von Reichspräsident Ebert (SPD) zur Nationalhymne erhobene Deutschlandlied beschlagnahmt (siehe auch UN 8/97).

Juli 1997: Neun Objekte im Süden Sachsen-Anhalts und in Leipzig wurden von der Polizei durchsucht. Dabei wurde umfangreiches Material, rund 1.300 CDs, Musikkassetten, Broschüren und diverses Schriftmaterial beschlagnahmt.

Juli 1997: Die Polizei verbot eine geplante Demonstration auf dem Marktplatz von Halle. Die Kundgebung sollte unter dem Motto »Deutschland in Not« stehen.

August 1997: Der Liedermacher Veit Kelterborn wollte auf einem Konzert seine neue CD vorstellen. Nach ca. einer halben Stunde klirrten die Fensterscheiben und eine Hundertschaft SEK stürmte den von innen verschlossenen Saal. Der Liedermacher sowie einige Gäste wurden vorübergehend verhaftet.

August 1997: Autobahnen, Bundes- und Landstraßen glichen Heerlagern. Sämtliche Polizeikräfte der Republik waren im Einsatz. Der Grund: Es galt mit allen Mitteln zu verhindern, daß Demonstrationen durchgeführt wurden, die auf die mysteriösen Umstände des Todes von Rudolf Heß (sein Rechtsanwalt erklärt unbeanstandet, er gehe davon aus, daß sein Mandant im Spandauer Gefängnis umgebracht worden sei, d.V.) hätten hinweisen können, 800 Personen wurden vorsichtshalber festgenommen. Gegen mehr als 100 weitere wurde schon im Vorfeld eine Meldepflicht über 3 Tage verhängt. Sie mußten sich dreimal täglich bei den örtlichen Polizeistellen melden.

1997: Jüngst erschien das Buch »Der V-Mann«, das die Hintergründe um den Agenten und Betrüger Michael Wobbe aufdeckt, der jahrelang für das niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz eine inzwischen verbotene Partei ausspähte. Wenn der Verfassungsschutz Berichte brauchte, sollte Wobbe »was anleiern«. Er machte Schulungen und verteilte Propagandamaterial. Ohne seine Aktivitäten als V-Mann wäre so manche »neonazistische« Gruppe erst gar nicht entstanden. In einer Talkshow gab er zu, daß er gezielt in Orte geschickt wurde, um dort auffällige Jugendliche zu Straftaten zu »aktivieren«, so daß man sie aburteilen konnte." - dazu wird umfangreich ergänzend auf die diversen Beiträge "Provokation" auf dieser Homepage hingewiesen!

Quelle: "Unabhängige Nachrichten" Nr. 10/97 - Sonderausgabe zur Buchmesse 1997