»Unter der Folter«

Ein dokumentarischer Roman von Dr. Karl-Helmut Fehn

Die Akteure und "Highlights" dieses dokumentarischen Romans: Eine Frau, die schwanger wird und sich den Vorsorgeuntersuchungen unterzieht; ein Professor, Chefarzt der Frauenklinik, der dabei gravierende "Kunstfehler" begeht, die Krankenakte fälscht und seine Sekretärin zur Falschaussage verleitet; ein Facharzt für Frauenheilkunde (und Ärztekammerfunktionär), der sehenden Auges die Kunstfehler seines Kollegen geschehen läßt und deckt, ein Jugendamt, das die um ihr Recht kämpfende Frau schikaniert und ihr das Sorgerecht entzieht, eine Krankenkasse, die Fallstricke legt, ein staatlicher Arbeitgeber, der die gebeutelte Frau auf die Straße setzt, verschiedene Richter, die auf einem Auge blind sind, ein Selbstmord, der mißlingt, ein Rotary-Club, der informelle Bande zwischen verschiedenen Akteuren knüpft und am Ende gar ein Haftbefehl, weil die in die Sozialhilfe getriebene

Frau, die zwar vor dem Bundegerichtshof obsiegt und trotzdem 50.000 DM Prozeßkosten bezahlen soll, den Offenbarungseid verweigert.

Was hier beschrieben und in die Kunstform eines spannenden Tatsachenromans gegossen wird, ist tatsächlich zwischen 1982 und 1994 geschehen und, so unglaublich die Geschichte klingt, nicht etwa in einem exotischen Entwicklungsland, sondern in dieser unserer Bundesrepublik Deutschland. Man muß sagen: in diesem "Glücklichen Rechtsstaat", so ein anderer Buchtitel Fehns.

Sehr schnell empören sich dessen Bürger über Unrechtssysteme anderswo, sehr gern deuten sie auf Fremde, wenn es um Gesetzesbruch, Verletzung der Menschenwürde, der Bürger- und Menschenrechte geht. Aber tiefes Schweigen herrscht, wenn sie von den "Eliten" des eigenen Rechtsstaates mit Füßen getreten werden.

Das Buch heißt "Unter der Folter". Ein aktueller Bezug, zweifellos. Es knüpft aber auch bewußt an die Hexenverfolgungen an, die im Kreis Lippe schon in früheren Jahrhunderten in Angst und Schrecken versetzten. Besonders wichtig ist die Deutlichkeit, mit der Fehn die wirtschaftlichen Interessen der verantwortlichen in diesem Drama herausgearbeitet hat. Es geht nicht um den hippokratischen Eid, es geht nicht ums Grundgesetz, es geht ums Abzocken und um die Tatsache, daß dabei vor keiner Fälschung, keinem Betrug, keiner Intrige, nicht einmal vor Erpressung zurückgeschreckt wird. Und es geht um die Opfer, die vor allem Frauen sind. Hier wird wahrlich kein Einzelfall geschildert, auch wenn man das Gefühl nicht los wird, das müsse doch die extreme Ausnahme sein. Einmalig ist jeder Fall dieser Art insofern, als er die individuellen Züge der Personen trägt, die in ihn verwickelt sind.

Was nicht unmittelbar sichtbar wird, aber für solche Fälle typisch ist, Ursache, Ausgangssituation, Motivation der "Haupttäter" ist das alles niederringende materielle Interesse, die innere und äußere Korruption. Damit ist die Grundstruktur, der wesentliche Bestandteil der Wirtschaftsverbrechen benannt. Kernproblem dieses Buches ist das private ökonomische Interesse im Bereich der Medizin.

K.-H. Fehn erzählt die Ereignisse allerdings nicht aus der Täter-, sondern aus der Opferperspektive. Er läßt den Leser mit der Frau leiden, sich empören, das Unrecht herausschreien. Diese Möglichkeit der Identifikation mit den Opfern macht die besondere Qualität des Romans aus.

Es sind also nicht Paragraphen und abstrakte Sachverhalte, die die Handlungsabläufe bestimmen. Auch wenn es die Opfer selbst oftmals so empfinden. Es ist die ganz konkrete Profitgier, und es sind die daraus resultierenden kriminellen Machenschaften von Kreisen, denen der Durchschnittsbürger eine eher ethische Handlungsweise zutraut.

Fehns genaue Schilderung, besonders der Gefühle der Opfer, überzeugen, machen traurig, und am Ende bleibt beim Leser eine stille Wut.

K.-H. Fehn hat die Namen der Täter nicht anonymisiert, dies im Vertrauen darauf, sie "aus ihren Löchern" holen zu können. Das ist sehr mutig. Der dokumentarische Roman bietet zwar über die Garantie "künstlerischer Freiheit" einen gewissen Schutz, nichtsdestoweniger muß ein Autor, der sich mit der Bürokratie und den Seilschaften deutscher "Eliten" anlegt, mit deren Anklage, mit Prozessen rechnen. Fehns Buch ist ein glänzendes Beispiel von Zivilcourage, von sozialem Engagement. Daß er spannend zu schreiben vermag, hat er ja schon mit seinen früheren Büchern "Beleidigungen- Abenteuer im deutschen Filz"

und "Glücklicher Rechtsstaat" bewiesen. Fehn weiß nur zu genau, daß von der Justiz nicht unbedingt Gerechtigkeit zu erwarten ist. Aber er scheut sich dennoch nicht, einen Fall darzustellen, der zeigt, wie eine Mafia von Ärzten, Juristen, Staatsdienern und Krankenkassen, die mit dem Blick auf die kleinen Leute ständig vom Sparen reden, Hand in Hand arbeiten, wenn es abzusahnen gilt. Wenn die Sozial- und Staatskassen leer sind, können wir sicher sein, es waren nicht die Sozialhilfempfänger und Arbeitslosen, die sie ausgeplündert haben.

Schließlich bietet das Buch auch noch ein eindrucksvolles Beispiel einer ermutigenden Solidarität zwischen Frauen, die sich gegen diese hauptsächlich von Männern dominierte Machtstruktur unseres "Glücklichen Rechtsstaates" mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr setzen, die kämpfen und Beispiel geben für alle, die in die Folterkammer der Bürokratie geraten und dabei zu verzweifeln drohen. Fehn hat dieses Beispiel mit dem Mittel der Kunst öffentlich gemacht.

 

Leserstimmen zu "Unter der Folter":

Aus Aachener Nachrichten, 14.Sept. 1995, von Professor em. Dr. Georg Rieder, Aachen: "Behördentreibjagd auf alleinstehende Mutter" Zu unserem Artikel "Lesung verkehrt: Publikum stellt Lieblingstexte vor" schreibt Professor em. Dr. Georg Rieder:

Ein ungeliebtes Buch? "Ein weites Feld" war das sicher nicht. Aber ich fühle mich getroffen. Umso dankbarer bin ich dem Buchhändler Peter Klein für das Forum eines Streitgesprächs über einen "dokumentarischen Roman", welcher in der Tat weder auf die Gunst der Liebhaber kunstreicher Texte noch der Fans blutrünstiger Mafiastories hoffen kann.

"Unter der Folter" sprengt den Rahmen einer Reportage, und so hat sich Karl-Helmut Fehn, bisher bekannt durch justiz- und behördenkritische Sachbücher, erstmals an einer romanartigen Form versucht. Grausamkeiten, rät Machiavelli, soll man an den Anfang stellen, und so habe ich gleich zu Beginn der Veranstaltung einen emotional hochaufgeladenen Text daraus gelesen, der sich von scheinbar naiver Naturschwärmerei zu krassem Realismus steigert. Schnipselweise herausgepickt aus einem langen Kapitel über die juristischen Winkelzüge vor dem Berufungsgericht, handelt er von einem monatelang vorbereiteten, unter schauderhaften Umständen mißglückten und mit letzter Willenskraft vertuschten Selbstmordversuch mit den selbstgeernteten Samen der Herbstzeitlosen.

Das nächste Kapitel berichtet von der Aufhebung der Klageabweisung am Oberlandesgericht Hamm durch den Bundesgerichtshof, nebst Bestätigung der Entschädigungsansprüche Veronica Barenholdts wegen Kunstfehlern. Schon bei der Lesung "Sarah und Simon" von Erich Hackl hatten wir bei Backhaus über die literarischen Schwierigkeiten mit lebenden Personen diskutiert. Mit "Sarah und Simon" verfolgt Hackl ähnliche Ziele wie Fehn mit »Unter der Folter«. Aber Hackl beschreibt von außen die schmerzlichen Nachwirkungen einer soeben abgeschüttelten Morddiktatur in Übersee, während Fehn seine bedrohte Heldin jahrelang betreut hat und noch betreut. Das hat Folgen für Erzählform, Stil und Sprache. Im Zentrum der Hatz schreibt sich's anders.

 

Aus TOP-Magazin Münster 1995

Dr. Karl-Helmut Fehn "Unter der Folter"

Unter den angesehenen Berufen rangieren die Ärzte nach wie vor ganz oben. Doch von vielen, die ernsthaft erkranken oder intensiv mit dem "Gesundheitsapparat" konfrontiert sind, werden immer mehr kritische Stimmen laut. Der dokumentarische Roman "Unter der Folter" behandelt ein brisantes zeitkritisches Thema: Das Buch erzählt die Geschichte einer Frau, deren Leben durch ärztliche Kunstfehler und eine harte Bürokratie zerstört zu werden droht, die den Kontakt zu ihrer sozialen Umgebung verliert und vehement um ihr Recht kämpft. Die "Heldin" setzt sich gegen eine übermächtige Allianz von Ärzten, Verwaltungen, Krankenkassen und Gerichten zur Wehr. Der Autor hat in diesem Werk, das in harter Sprache geschrieben ist, sein drittes Buch zum Thema Korruption in der Bundesrepublik vorgelegt. Wenn er über die "Medizinmafia" herzieht, beabsichtigt er nicht - so betont er - Ärzte, die ordnungsgemäß nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandeln, zu diskriminieren. Zum Markenzeichen des Autors gehört, die Namen der Opfer sowie die Rahmenhandlung zu verfremden, aber real existierende Schuldige beim Namen zu nennen und ihre Handlungen durch Dokumente zu belegen. Kampf und Leiden der Frauen stehen im Mittelpunkt dieses Buches, das Täter entlarven will und sich mit den Opfern solidarisiert.

Aus "Die Wage" Magazin für Lippe Nr.1 / 1995:

K.-H. Fehn,

»Unter der Folter«

Da hat K.-H. Fehn, Autor aus dem Lippischen, mal wieder zugeschlagen. Sein dritter Roman über Korruption in der Bundesrepublik entspricht, so der Autor selbst, den Fakten. Namen und Rahmenhandlung wurden verfremdet, "die Täter werden beim Namen genannt, um sie aus ihren Löchern zu locken."

Hintergrund dieses 290 Seiten dicken Buches sind wieder die Ärzte und deren unselige Verwicklungen und Verbindungen mit dem "demokratischen" Rechtssystem in der BRD. Hauptsächlich geht es um Personen und Institutionen aus der lippischen Verwaltungs- Gerichts- und Ärzteszene und deren wuchernde Bürokratie.

Fehns Angriffe gegen Raffgier und Pfründe-Sicherung sind dabei frontal und ohne Schnörkel. Der Stil erscheint manchmal etwas antiquiert und verworren. Insgesamt überaus schwere Kost für alle, die in dem Band Erwähnung finden.

Auf Reaktionen darf man gespannt sein.