Finis Germaniae
- in maximal zwei Generationen
Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler ist einer der
letzten noch lebenden Unterzeichner des Heidelberger Manifestes, mit dem
1981/82 vierzehn deutsche Professoren und ein Bundesminister a.D. vor den Folgen
der Masseneinwanderung warnten und ‑ vergeblich ‑ versuchten, eine
öffentliche Diskussion darüber zu entfachen.
Schmidt‑Kaler beriet mehrfach Ministerien
während der Kabinette Schmidt und Kohl zu demographischen und rentenpolitischen
Fragen, ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Demographie und veröffentlichte
zahlreiche Artikel zum Thema, etwa in "Bevölkerungswissenschaft"
oder "Aus Politik und Zeitgeschichte".
Der 1930 im oberfränkischen Seibelsdorf geborene
Naturwissenschaftler lehrte in Bonn, Toronto und Bochum, war Präsident der
Astronomischen Gesellschaft und ist Mitglied der Nordrhein‑Westfälischen
und der Europäischen Akademie der Wissenschaften.
Herr Professor Schmidt‑Kaler, Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat
es in der vergangenen Woche in einem Interview mit dem "Hamburger
Abendblatt" als "Fehler" bezeichnet, "daß wir zu Beginn der
sechziger Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land geholt haben ".
Schmidt‑Kaler: Das ist natürlich äußerst pikant, hat er doch
als Bundeskanzler die Einwanderungspolltik seiner Vorgänger fortgesetzt. Späte
Reue.
Empfinden Sie Genugtuung?
Schmidt‑Kaler: Darum geht es mir nicht. Übrigens habe ich
sonst immer viel von Helmut Schmidt gehalten ‑ und seine Fähigkeit zur
Einsicht bestärkt mich darin.
Sie hätten allerdings allen Grund dazu, immerhin betrachten Sie Helmut
Schmidt als mitverantwortlich für die Lahmlegung der Initiative
"Heidelberger Manifest", zu dessen Unterzeichnern Sie
1981/82gehörten. Des letzten Versuches aus den Reihen etablierter Eliten, die
Folgen der Einwanderung öffentlich zu diskutieren, bevor sich nun das Thema in
Folge der Ereignisse in Holland nach 22 Jahren wieder auf die offizielle
Tagesordnung der Politik gedrängt hat.
Schmidt‑Kaler: Angestoßen durch den Münchner Mineralogen
Helmut Schröcke hatten wir damals fünfzehn Professoren versammelt, die das
Manifest als Erstunterzeichner unterschrieben haben, darunter übrigens auch der
ehemalige CDU-Bundesminister Theodor Oberländer. Später haben sich noch
Hunderte weitere Bürger angeschlossen. Denn die Folgen der trotz Anwerbestopps
durch die an sich noble, aber verantwortungslose Politik der
Familienzusammenführung fortgesetzten Massenzuwanderung waren damals schon
deutlich vorauszusehen. Wir hatten gehofft, mit dieser Initiative das fatale
Schweigen über dieses Schicksalsthema, das doch alle Menschen in unserem Land
angeht und über das sie dennoch nicht öffentlich zu sprechen wagten, zu
durchbrechen. Leider ohne Erfolg.
Der ehemalige FAZ‑Journalist und Sicherheitsexperte Udo Ulfkotte
äußerte in der vergangenen Woche im Interview mit dieser Zeitung Zweifel daran,
daß das Thema nun wirklich ernsthaft diskutiert wird. Er hält es für eine der
üblichen Medien‑Moden, die bald wieder vergessen sind.
Schmidt‑Kaler: Das befürchte ich auch. Bezeichnend ist doch
zum Beispiel, daß es sich bei der Debatte gar nicht mehr um das "Ob",
sondern nur noch um das "Wie" von Einwanderung dreht. Die Frage
"Ist Multikulti am Ende?" zielt nicht auf die Beendigung dieses
höchst zweifelhaften Gesellschaftsexperimentes ‑ man diskutiert darüber,
wie man es doch noch retten könnte.
Zum Beispiel durch "Integration statt Assimilation" mittels
einer "demokratischen Leitkultur"?
Schmidt‑Kaler: Das Niveau solcher Vorschläge ist fatal! Was
meint denn "demokratische Leitkultur" mehr als Gesetzes‑ und
Verfassungstreue? Der Begriff "Kultur" ist hier völlig falsch
verwendet! Kulturelle Integration ist nicht gleich, sondern führt zu
Gesetzestreue ‑ das Mittel wird mit dem Ziel verwechselt. Erstaunlich,
daß ein Intellektueller wie Bassam Tibi, von dem das Konzept bekanntlich
stammt, einen solchen Erstsemester‑Fehler macht. Und zum Thema
Integration kann ich nur sagen, wo ist diese jemals ohne ein kräftiges Maß an
Assimilation gelungen? Staatlichkeit ist ihrem Wesen nach stets die Frage der
Loyalität. In einer multikulturellen Gesellschaft besteht naturgemäß kein
Konsens über den Bezugspunkt der Loyalität. Es war ein langwieriger und
blutiger Prozeß, diesen in Europa auf der Grundlage der Nationalstaaten
herzustellen. Beispiel: Während für Theo van Gogh dieser Bezugspunkt der
liberale Nationalstaat Niederlande war, war es für seinen Attentäter der Islam.
Das Ergebnis des Konfliktes: Van Gogh ist tot und Moscheen brennen.
"Das Manifest nannte' Volk' und 'Volkstum' ‑
wie das Grundgesetz"
Helmut Schmidt meint deshalb, daß "eine multikulturelle Gesellschaft
nur dort funktioniert, wo es einen starken Obrigkeitsstaat gibt... wie zum
Beispiel in Singapur".
Schmidt‑Kaler: Schlechte Nachrichten für die Vertreter der
multikulturellen Gesellschaft. Aber das ist nicht die Prämisse, von der wir in
Deutschland ausgehen sollten.
Bassam Tibi empfahl in einem "Spiegel"-Interview in der
vergangenen Woche Leitkultur à la Frankreich: Das Bekenntnis zur französischen
Republik integriere alle Bürger, egal welcher Herkunft.
Schmidt‑Kaler: Was Tibi verschweigt: Während bei uns ‑
und zwar gerade dank der Achtundsechziger ‑ Staat als reines Regelwerk
und damit als Gegenmodell zur Nation verstanden wird, ist in Frankreich die
Republik das Synonym für die Nation. Dieses Konzept setzt bei allen Beteiligten
die Aufklärung voraus. Und der Islam hat bisher weder eine Reformation noch
eine Aufklärung erlebt.
"Morddrohungen, Überfälle und
Verleumdungen"
Sie haben dagegen schon damals "aus rechnerischen Modellen ...
bürgerkriegsähnliche Zustände und Rassenkrawalle" als Folge der
Masseneinwanderung vorhergesagt.
Schmidt‑Kaler: Dieses Zitat stammt allerdings nicht aus dem
Manifest. Anschläge wie in Madrid und Amsterdam erfüllen zwar noch nicht diesen
Tatbestand, deuten aber darauf hin, daß die Prognose begründet ist. Übrigens
prophezeien das auch andere: Udo Ulfkotte ebenso wie Bassam Tibi, und auch
Helmut Schmidt hat bekanntlich schon 1981 gewarnt: "Das gibt Mord und
Totschlag".
Ihr Heidelberger Manifest warnte unter anderem vor der
"Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen
Ausländern und ihren Familien und der Überfremdung unserer Sprache, Kultur und
Volkstums ".
Schmidt‑Kaler: So hieß es in der Fassung von Professor
Schröcke, daneben gab es noch eine weitere Fassung von mir.
In der statt von "deutschen Volk" von "deutscher
Bevölkerung" und statt von "Volkstum" nur noch von
"deutscher Sprache und Kultur" die Rede war.
Schmidt‑Kaler: Die
aufgeladene Sprache der Schröcke‑Fassung drohte die erhoffte Diskussion
in einen Streit über die Formulierungen statt über die Inhalte münden zu
lassen. Ich habe beide Fassungen unterschrieben, denn andererseits war die
Schröcke-Fassung eher in der Sprache des Grundgesetzes gehalten.
Inwiefern?
Schmidt‑Kaler: Das Grundgesetz benennt schließlich allein das
"deutsche Volk" als Souverän, während ihm eine "deutsche
Bevölkerung" unbekannt ist. Und laut des sogenannten Teso‑Urteils
des Bundesverfassungsgerichtes von 1987 ist Ziel und Zweck des Grundgesetzes
"Die Erhaltung des deutschen Volkes" ‑ nicht nur in musealer
Weise, nicht nur von Sprache und Kultur, sondern auch ganz konkret deren
Verdichtung in einem lebendigen Volkstum.
Welche Beweise haben Sie dafür, auch den damaligen Bundeskanzler Helmut
Schmidt für das Scheitern des Manifestes verantwortlich zu machen?
Schmidt‑Kaler: Bert Rürup kam 1981 zu einer Tagung der
Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft ‑ heute Deutsche
Gesellschaft für Demographie ‑ in Bad Königstein im Taunus und sorgte
dafür, daß dort die "Pro‑Natalisten", also alle, die wie
wir "Heidelberger" für ein
Ende der Masseneinwanderung und für die Anhebung der deutschen Geburtenziffern
eintraten, ausmanövriert wurden. Methode: Zuckerbrot und Peitsche. Er ließ
durchblicken: Wer sich widersetzt, mußte mit Schwierigkeiten bei seiner
Karriere rechnen, wer dagegen kooperiere, könne auf Belohnung hoffen. Wer oder
was ermächtigte Rürup dazu? Nun, er war damals Berater im Bundeskanzleramt.
Es war aber nicht allein Helmut Schmidt, wie Sie vermuten?
Schmidt‑Kaler: Was die unterschwellige Stimmungsmache einer
Regierung so alles anrichten kann, haben wir spätestens beim sogenannten
"Aufstand der Anständigen" gesehen. Insgesamt aber sind wir an der
schon im Entstehen begriffenen Political Correctness gescheitert, die bereits
damals Vertreter mißliebiger Meinungen Haß, Verachtung und Terrormaßnahmen aussetzte.
Terrormaßnahmen?
Schmidt‑Kaler: Ich bekam zum Beispiel Drohbriefe, inklusive
Morddrohungen. An der Universität liefen diverse Flugblatt‑Kampagnen
gegen mich, unsere Bürotüren wurden mit Parolen wie "Institut für
Rassismus" beschmiert. Schließlich wurden wir von einem Putztrupp
überfallen und mein Vertreter so schlimm zusammengeschlagen, daß er zum Arzt
mußte und noch Wochen später blau und gelb leuchtete. Auch mein Wohnhaus wurde
wiederholt mit Parolen beschmiert, Fenster eingeworfen und ich schließlich in aller
Öffentlichkeit geohrfeigt. Einige Kollegen zogen sich unter solchem Druck
schließlich zurück. Danach wollte sich ‑ bis auf Einzelkämpfer wie den
Soziologen Robert Hepp ‑ niemand mehr dem aussetzen, und das Thema wurde
nur noch an den politischen Rändern aufgegriffen. Was natürlich ganz im Kalkül
der Meinungsterroristen lag, denn damit hatte es endgültig das Gütesiegel
"rechtsextrem".
"In Deutschland haben wir nur
Einwanderungsparteien"
Immerhin druckten sowohl die "Frankfurter Rundschau" als auch
die katholische "Tagespost" das Manifest als Dokumentation ab. Das
Südwestfunkfernsehen in Baden‑Baden lud Sie in eine Diskussionssendung im
Regionalprogramm, der Bayerische Rundfunk in eine Sendung im ARD-Fernsehen
ein.
Schmidt‑Kaler: Es war erfreulich, daß sie mir als Gegenüber
einen Mann wie den SPD‑Politiker Heinz Kühn, bis 1978 Ministerpräsident
von NRW, eingeladen hatten. Aber es war auch die Sendung, in der ich von einer
herbeistürmenden Zuschauerin ‑ offensichtlich aus dem linksextremen
Milieu bestellt ‑ vor laufender Kamera geohrfeigt wurde. Aber abgesehen
von diesen Ausnahmen liefen die Pressereaktionen fast überall ab, wie zuletzt
im Fall Hohmann. So wie dort aus "Die Juden sind kein Tätervolk",
"Hohmann nennt Juden Tätervolk" wurde, so wurde aus Einwanderungsstopp
"Ausländerfeindlichkeit" gemacht. Daß es völlig absurd ist,
Einwanderer pauschal mit jeder Art von Ausländern in Deutschland gleichzusetzen
oder "Begrenzung" mit "Feindlichkeit", störte dabei nicht.
Man wollte auch gar nicht verstehen, denn es ging darum, nicht zuzulassen, daß
wir unsere vernünftigen Argumente überhaupt vorbringen. Im übrigen enttäuschte
uns besonders das Schweigen von FAZ und Welt.
Das Heidelberger Manifest hat auf beide Seiten des Problems hingewiesen,
die zunehmende Immigration von Ausländern einerseits, die abnehmende Natalität
der Deutschen andererseits.
Schmidt‑Kaler: Ja, und wir waren damit bereits an einem Punkt,
an dem die Diskussion heute noch nicht wieder angelangt ist. Denn kommen diese
beiden Faktoren zusammen, haben wir es nicht mehr mit der Art Einwanderung zu
tun, wie wir sie von Einwanderungsländer wie den USA oder Kanada kennen. Dann
entspricht Einwanderung im Effekt dem, was wir in der Geschichte mit dem
Begriff "Völkerwanderung" ausdrücken, nämlich die Veränderung der
Grundbedingungen des Lebens ganzer Völker.
Im Moment haben wir sieben Millionen Ausländer bei 82 Millionen
Deutschen, das klingt noch verkraftbar.
Schmidt‑Kaler: Das sind nominelle Zahlen, die schon
"dank" der großzügigen Einbürgerungspraxis, Sonderregelungen wie Asyl
und illegalen Aufenthalten längst nicht mehr die Wirklichkeit beschreiben. Aber
der Punkt ist, daß man die Einwanderungsfrage verzerrt, wenn man sie statisch
darstellt. Denn Einwanderung ist keine Situation, sondern ein Prozeß. Fixe
Zahlen transportieren nicht die eigentliche Information, diese ist erst in den
Faktoren enthalten, die auf die Zahlen wirken. Und der entscheidende Faktor ist
die Natalität. Die eigentliche Einwanderung findet bei uns längst nicht mehr
"sichtbar" über die Grenzen statt, sie vollzieht sich
"unsichtbar" über die Kreißsäle. Und ebenso "verschwindet"
das deutsche Volk nicht sichtbar über die Grenzen wie bei einer Vertreibung,
sondern ebenfalls unsichtbar: Kindergärten werden dichtgemacht, Friedhöfe
erweitert.
Die Union fordert jetzt verschärfte Maßnahmen wie etwa einen Eid auf die
Verfassung bei der Einbürgerung. Was erwarten Sie von einem eventuellen CDU‑Wahlsieg
2006?
Schmidt‑Kaler: 1986 habe ich für Bundeskanzler Kohl eine
internationale bevölkerungswissenschaftliche Tagung in Bonn organisiert. Zur
Vorbereitung empfing er mich zum Gespräch unter vier Augen im Bundeskanzleramt.
Er wollte über das Problem der Demographie reden. Wann immer ich die
Einwanderung ansprach, winkte er ab. Was also soll ich von der Politik
erwarten? Wir haben de facto nur Einwanderungsparteien in Deutschland. Ebenso
ist es mit den "relevanten" gesellschaftlichen Gruppen, ob Kirchen
oder die angeblich arbeitnehmerfreundlichen Gewerkschaften. Ich frage mich
auch, warum etwa der Zentralrat der Juden in Deutschland uns hierzulande stets
dringend eine unterschiedslose Einwanderungspolitik empfiehlt, während er die
extrem völkische Einwanderungspolitik in Israel nicht kritisiert. Nun, wenn in
den nächsten Jahren der EU‑Beitritt der Türkei bei voller Freizügigkeit
für dann 90 Millionen Türken beschlossen wird, hat sich die Diskussion sowieso
erledigt. Dann gebe ich Deutschland noch maximal zwei Generationen.
MORITZ
SCHWARZ
Quelle: JUNGE FREIHEIT vom 3. Dezember 2004