„Es ist etwas faul im Staate Deutschland“

Wissenschaftler übt vernichtende Kritik an der Verfassungswirklichkeit

"Jeder Deutsche hat die Freiheit, Gesetzen zu gehorchen, denen er niemals zugestimmt hat; er darf die Erhabenheit des Grundgesetzes bewundern, dessen Geltung er nie legitimiert hat; er ist frei, Politikern zu huldigen, die kein Bürger je gewählt hat, und sie üppig zu versorgen - mit seinen Steuergeldern, über deren Verwendung er niemals befragt wurde. Insgesamt sind Staat und Politik in einem Zustand, von dem nur noch Berufsoptimisten oder Heuchler behaupten können, er sei aus dem Willen der Bürger hervorgegangen."

Zu diesem geradezu vernichtenden Urteil über die heutige Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland kommt der bekannte Verwaltungswissenschaftler Professor Hans Herbert von Arnim (Speyer) in seinem neuen Buch »DAS SYSTEM Die Machenschaften der Macht« (Droemersche Verlagsanstalt München 2001).

In Sonntagsreden wird unsere »Verfassung« beschworen, obwohl wir eine solche gar nicht haben, sondern nur ein Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

Vom Bürger als Souverän, von Demokratie und Gemeinwohl ist dann die Rede, von der Bedeutung der Wahlen, von Gewaltenteilung und von der Unabhängigkeit der »nur ihrem Gewissen verantwortlichen« Abgeordneten - alles schöne Leerformeln, die allesamt nur eines verbergen:

Hinter der demokratischen Fassade wurde ein zweites System installiert, in dem völlig andere Regeln gelten, als die des Grundgesetzes.

Im rechtlichen Untergrund ist aus unseren Volksvertretern die »politische Klasse« geworden, die ein Netzwerk geknüpft hat, das allmählich unsere demokratische Ordnung überwuchert und erstickt. Schwarze Kassen, fehlerhafte Rechenschaftsberichte, Steuerhinterziehung, Postenwirtschaft, Selbstbedienung, kurz:

Kungelei bis hin zur Korruption - das sind die Kennzeichen dieses »Zweiten Systems«.

Wie konnte es dahin kommen?

Eine Verfassung - hier hilfsweise das Grundgesetz, bis es durch eine vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossene Verfassung ersetzt wird - soll doch dem Streben von Politikern, Parteien und Verbänden nach Macht Grenzen ziehen und die Belange aller zur Richtschnur politischen Handelns machen.

Nach dem Urteil des Wissenschaftlers ist eine so gedachte Grundordnung aber längst selbst zum Gegenstand von Manipulationen geworden, die vor allem ein Ziel haben: die politische Klasse unabhängig zu machen von jeder Kontrolle und vom Einfluß der Bürger.

In 50 Jahren Bundesrepublik sei das, was als freiheitlich - demokratische Grundordnung gedacht war, zum Spielball für Eigeninteressen der Politik degeneriert.

Hans Herbert von Arnim, Staatsrechtler und renommierter »Parteienkritiker«, enthüllt in eindrucksvoller Weise diese Strukturen. Unerbittlich analysiert er Entstehung und Wirkung der dunklen Seite der Macht, Punkt für Punkt legt er die Funktionsweise des Schattensystems bloß. Damit schärft er die Sinne zum Erkennen der Kluft, die sich aufgetan hat zwischen dem »Verfassungs«-Ideal und den tatsächlichen Verhältnissen.

Doch es gibt Mittel und Wege, die politische Klasse in die Schranken zu weisen. Wie das Kartell der Parteien aufgebrochen, das politische Mitspracherecht der Bürger und die Gemeinwohlorientierung der Politik wiederhergestellt werden können.

Dazu macht Professor von Arnim eine Reihe von Vorschlägen und gibt damit den Anstoß für eine Reformbewegung, die die politischen Verhältnisse vom Kopf auf die Füße stellen könnte.

So wundert sich von Arnim, mit welcher Selbstverständlichkeit Berufspolitiker hohe Ämter besetzen, auch wenn sie nicht über die geringsten fachlichen Fähigkeiten verfügen.

Da wird eine Lehrerin Innenministerin und - wir fügen hinzu - Außenminister kann man ohne Grundschulabschluß werden.

Mehrere Seiten widmet der Autor dem Thema »Verfall des Ansehens von Berufspolitikern« und stellt fest, daß nur noch 17 Prozent der wahlberechtigten Bürger eine gute Meinung von ihnen haben.

 

Im Dunstkreis der Korruption

Massenhafter Verfassungsbruch, Korruption, Ämterpatronage, die Parteien als verfassungswidrige Organisationen und fehlende Gewaltenteilung sind weitere Schwerpunkte des Buches. Parteien verschaffen sich durch selbst gemachte Gesetze den Schein der Legalität. Hier erinnert von Arnim an gewisse Großspenden, die im Dunstkreis der Korruption stehen und vom »insider« Herrn v. Brauchitsch einst als »Schutzgeld« der Wirtschaft an die Politik bezeichnet wurden.

Im Kapitel »Die Medien im Visier des Systems« stellt von Arnim die FernsehDemokratie an den Pranger und nennt es öffentliche Lügen, wenn er von dem Unterschied der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung schreibt. Das System schaffe sich so seine »eigene Wahrheit«.

Ein weites Feld, das von Arnim beleuchtet, ist die Tatsache, daß das Grundgesetz nicht vom Volk legitimiert ist, weil es von den Besatzungsmächten 1949 initiiert wurde und das Volk nie und bis heute nicht, wie es im Schlußartikel 146 ausdrücklich vorgesehen ist, über das Grundgesetz beschließen durfte, um es damit in einen Verfassungsrang zu erheben.

Diesen Fehler konnte man vor der Wiedervereinigung noch damit begründen, daß das ganze Volk über das Grundgesetz abstimmen müsse und nicht nur die damaligen westlichen Besatzungszonen. Solche Vorwände oder Hindernisse für eine vom Volk in freier Selbstbestimmung zu beschließende Verfassung waren aber spätestens mit der Wiedervereinigung West- und Mitteldeutschlands entfallen. Doch bei der eigens dazu eingesetzten 64-köpfigen Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates war wiederum das Volk ausgeschlossen, denn die Kommission bestand eben auch nur aus Berufspolitikern, die ihre Eigeninteressen und Machtbefugnisse im Auge hatten. Deshalb ging diese Kommission ohne Ergebnis auseinander.

»Das System rekrutiert die Politiker, die es braucht«

Unter dem Absatztitel »Das System rekrutiert die Politiker, die es braucht« berührt von Arnim das Problem, daß die politische Ochsentour in den Parteien für viele Selbständige und beruflich voll eingespannte Fachleute nicht in Frage kommt und die bestehenden Strukturen auf fähige Menschen eine geradezu abstoßende Wirkung haben.

Auch der fehlenden Gewaltenteilung wird ein großer Abschnitt gewidmet. So wird kritisiert, daß die Mitglieder der Regierung und die Staatssekretäre gleichzeitig auch dem Parlament angehören dürfen, mit ihrer Stimme also ihre eigenen Beschlüsse durchsetzen können. Beamte dürften eigentlich überhaupt nicht dem Bundestag angehören, doch in Wirklichkeit stellen sie im Parlament die Mehrheit.

Mehr »direkte Demokratie«!

Das letzte Drittel des Buches beschäftigt sich mit Vorschlägen und Ideen, wie unsere Demokratie zu reformieren sei.

Dazu gehört mehr »direkte Demokratie« durch die in Artikel 20 des Grundgesetzes vorgesehenen Abstimmungen, . also Volksbegehren und Volksentscheide zu lebenswichtigen und zukunftsentscheidenden Fragen.

Dabei wird Vertrauen auf den Bürgersinn gesetzt und den Bedenken widersprochen, die von den Gegnern von Volksabstimmungen immer wieder vorgebracht werden, die Wähler könnten komplexe politische Dinge nicht verstehen und dürften also auch nicht darüber abstimmen.

Wenn die politische Klasse nach 50 Jahren Demokratie-Erziehung

»Die Grundlage der Demokratie ist die Völkssouveränität und nicht die Herrschaftsgewalt eines obrigkeitlichen Staates.

Nicht der Bürger steht im Gehorsamsverhältnis der Regierung, sondern die Regierung ist dem Bürger im Rahmen der Gesetze verantwortlich für ihr Handeln.

Der Bürger hat das Rech und die Pflicht, die Regierung zur Ordnung zu rufen, wenn er glaubt, daß sie demokratische Rechte mißachtet.«

Dr. Gustav Heinemann (Bundespräsident 1969-74)

als Ergebnis der von ihr verordneten »politischen Bildung« solches feststellt, spricht sie ein bezeichnendes Urteil über sich selbst.

Es ist wahrlich höchste Zeit, das System dieser politischen Klasse durch eine soziale Gemeinschaftsordnung zum Wohle des Volkes abzulösen.

Ferdinand Neitzert