Deutsche Dienste
(...) Es steht zu vermuten,
daß die Mitarbeiter der deutschen Dienste nicht anders wie die aller anderen
Geheimdienste schwanken zwischen einem übertriebenen Selbstwertgefühl, das sich
aus dem Stolz über die verantwortungsvolle Tätigkeit speist, und der tiefen Verunsicherung,
weil sie sich nicht geliebt fühlen von denen da draußen, die sie auch noch
kritisieren. "Im Namen von nahezu 100% der Mitarbeiter" sprach der
damalige Personalratsvorsitzende des Landesamtes für Verfassungsschutz in
Hamburg am 1. März 1971: "Wir müssen uns allerdings dagegen wehren, daß
durch das Gesetz (über die Kontrolle der Geheimdienste, G.G.) in der
Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, daß die beim Verfassungsschutz tätigen
Beamten und Angestellten am Rande der Legalität arbeiten oder einer ständigen
besonderen Kontrolle bedürfen ...".
Bekommt das Selbstbewußtsein
schon einen Knacks, wenn öffentlich darüber nachgedacht wird, wie die Tätigkeit
der Dienste zu kontrollieren sei? Wie reagieren die dienstbaren Geister erst,
wenn man sie gar als überaus fragwürdig und zudem überflüssig empfindet?
Auf die Idee sind Leute
gekommen, die durchaus Einblick ins Gewerbe haben.
Burkhard Hirsch (F.D.P.) über
die in den neuen Sicherheitsgesetzen vorgesehenen Freiheiten für
Verfassungsschützer: "Es ist empörend, daß der Verfassungsschutz eine
gesetzliche Grundlage dafür bekommen will, mit Wanzen in die Privatsphäre, in
die Intimsphäre von Leuten einzudringen, die er für irgendetwas verdächtigt.
Daß er sich auf der anderen Seite weigert, Strukturdaten zu veröffentlichen,
was selbstverständlich sein sollte, wie Haushaltssumme, Zahl der überwachten
Telefonanschlüsse, Zahl der Mitarbeiter und dergleichen, damit man etwas über
den Umfang dieses Dienstes sieht. Und es geht nicht an, daß die
Parlamentarische Kontrollkommission weder die Verwendung von Haushaltsmitteln
kontrollieren kann, noch das Recht hat, Akten anzufordern und einzusehen oder
Beamte zu vernehmen. Das geht so nicht weiter. Ich selber bekomme allmählich
vor dem Verfassungsschutz Angst". Hirsch ist Mitglied der
Parlamentarischen Kontrollkommission (in der die "Grünen", wiewohl
demokratisch gewählt, nicht sitzen, weil man sie des Geheimnisverrats
verdächtigt).
Und Elmar Schmähling, Ex‑MAD‑Chef,
inzwischen entlassener Admiral: "Der Verfassungsschutz ist für eine
freiheitlich demokratische Grundordnung überflüssig, weil der Auftrag in diesem
Bereich, nämlich Bestrebungen gegen diese freiheitlich demokratische
Grundordnung, festzustellen entweder durch die Medien viel besser und viel
schneller geschieht oder aber, sofern sie mit strafrechtlich relevanten
Sachverhalten zusammenhängen, von den Staatsanwaltschaften oder von der
Kriminalpolizei verfolgt werden können".
Alfred Emmerlich (SPD),
Bundestagsabgeordneter: "Durch die Bank muß man sagen, daß eine Kontrolle
der Geheimdienste durch die Parlamentarische Kontrollkommission derzeit nicht
möglich ist. Einmal, weil die Bundesregierung nicht mitspielt, und zum anderen,
weil die Parlamentarische Kontrollkommission keine aktiven Kontrollrechte hat,
sondern nur das entgegennimmt, was die Bundesregierung ihr über die
Nachrichtendienste erzählt". Alfred Emmerlich ist ebenfalls Mitglied der
Parlamentarischen Kontrollkommission.
Gerhard Jahn (SPD) warf das
Handtuch ganz und verabschiedete sich aus der Parlamentarischen
Kontrollkommission. Die PKK habe lediglich eine "Alibifunktion". Und:
"Das Sündenregister der Dienste ist ellenlang". Wann werden alle
Sünden, die der Parlamentarischen Kontrollkommission trotz ihrer faktischen
Unfähigkeit zur wirklichen Kontrolle immer noch erkennbar wurden, gebeichtet?
"Ich wende mich
schließlich auch gegen Satire von Nobelpreisträgern", so Richard Meier
1975 bei seiner Amtseinführung als Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz, "wenn sie uns denunzieren, ohne uns zu kennen".
Dürfen also nur Geheimdienstler Geheimdienstler kritisieren? Denn kennenlernen
können wir sie ja nur durch jene öffentlich bekannt werdenden Aktionen, die in
ihrer Vielzahl nur das Mißtrauen gegenüber den Diensten und dem dort
herrschenden Selbstverständnis nähren. "Geheimdienst‑Skandale"
nennt man das dann. Wenn Richard Meier sich gegen Heinrichs Bölls Stück
"Zur Gesinnungslage der Nation" so erregt, wie sehr muß es die
Geheimen erst aufregen, wenn ihre Daseinsberechtigung bezweifelt wird. Weshalb
diese Kleingeistigkeit, jener Mangel an Auseinandersetzungsbereitschaft, der so
wichtig für jede Demokratie ist? Ein Verfassungsschützer müßte der erste sein,
der sich für öffentliche Kritik, und, wenn er es ernst meint, erst recht für
Kritik an seinem Amt, einsetzt. Aber: Pustekuchen. Empfindlichkeit ist da
angesagt, eine Sensibilität, die ihren Beobachtungs-Subjekten nicht zugestanden
wird.
Verbesserte Kontrolle der
Geheimdienste wurde in Niedersachsen vom damaligen Leiter des Landesamtes für
Verfassungsschutz als "Mode" abgetan, das "Klima" als
hinderlich empfunden.
Bei keiner staatlichen
Institution ist die Möglichkeit des unkontrollierten Mißbrauchs leichter als in
den Geheimdiensten. In keiner staatlichen Institution sind die
berufsspezifischen Charaktereigenschaften fragwürdiger als bei Geheimdiensten.
Wehren kann man sich gegen Geheimdienste praktisch nur durch das Gegenteil von
Geheimem, durch Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist der natürliche Feind des
Nichtöffentlichen, nur eingeschränkt Zugänglichen. Also raus damit, raus mit
allen Erkenntnissen. Ein demokratischer Staat kann auch ohne Geheimdienste im
Inneren wie im Äußeren überleben.
Was aber haben wir von einem
Verfassungsschutz zu halten, der in dem einen Bundesland darüber nachdenkt, die
rechtsextremen "Republikaner" zum Beobachtungsobjekt zu machen,
während im übergeordnetem Bundesamt ein "Republikaner" sich mit der
Überwachung von Ausländern befaßt? Das ehemalige CDU‑Mitglied Klaus
Hartel, wohnhaft in Overath bei Köln, von 1979 bis 1984 Mitglied des Kreistages
des Rheinisch-Bergischen Kreises, wandte sich den offen ausländerfeindlichen
"Republikanern" zu und arbeitet(e?) ausgerechnet in der
Ausländerabteilung.
Für die
"Republikaner", die eine "Zuzugssperre für Ausländer"
fordern, las Verfassungsschutz‑Amtmann Hartel das Parteiprogramm gegen.
Verfassungsschutzpräsident Boeden teilte mit, daß "Extremisten bei uns im
Hause nicht beschäftigt werden". "Aus dem demokratischen Spektrum
wird jeder bei uns beschäftigt", immerhin seien wir ja eine pluralistische
Gesellschaft, so Boeden im Mai 1989.
Daß diese Republik
zusammenbrechen würde, wenn sie auf die Dienste verzichten müßte, erscheint
unwahrscheinlicher als die Annahme, daß sie nicht überlebt, wenn sie auf die
Kritik an den Diensten verzichten müßte. Wer von ihnen getroffen wird, dem
bleibt als einzige Möglichkeit von Gegenwehr der Weg an die Öffentlichkeit. Die
Chancen sind nicht gleich. Der Wettbewerb ist unfair. Das ist schade, leben wir
doch in einem Gemeinwesen, das sich viele Großzügigkeiten leisten kann,
vielleicht sogar den Luxus, weder die eigenen noch fremde Bürger beschnüffeln
zu müssen, ein Land des gegenseitigen Vertrauens zu werden, auch des
Vertrauens, daß es genügend Korrektur-Mechanismen gibt, die Verfassung zu
schützen: Kontrolle durch die Parlamente. Kontrolle durch die Öffentlichkeit,
durch engagierte Bürger. Fürs Kriminelle die Polizei, fürs Hochgefährliche das
Bundeskriminalamt, für das Recht Staatsanwaltschaft und Gerichte und obenan das
Bundesverfassungsgericht.
Und im Äußeren? "Zu den
Dingen im Zusammenleben der Staaten, die man beklagen, aber nicht aus der Welt
schaffen kann, gehört, daß kein Staat von einiger Bedeutung glaubt, auf ein
Instrument verzichten zu können, das der Wahrung seiner äußeren Sicherheit und
seiner Interessen im weltpolitischen Kräftespiel auf besondere, ethischen
Rigoristen oft anstößig erscheinende Weise dient: Auf den geheimen
Auslandsnachrichtendienst". Das schrieb unter der Überschrift
"Auslandsaufklärung" in der Wochenzeitung das Parlament am 17.1.1976 ein
namenloses Phantom, das seinen Beitrag mit drei Sternchen zeichnete.
Das Anstößige an den geheimen
Nachrichtendiensten im In‑ wie im Ausland ist, daß wir ausgerechnet
Menschen die Sondervollmachten erteilen, Verfassungsgrundsätze im angeblichen
Interesse unserer Verfassung zu umgehen, die wir später nicht zur Verantwortung
ziehen können. Mit drei Sternchen kann man schlecht diskutieren. Drei Sternchen
sind schwerlich für einen Übergriff verantwortlich zu machen. Alle auch von
parlamentarischen Kontrolleuren festgestellten Übergriffe der geheimen
Nachrichtendienste in der Bundesrepublik haben tatsächlich nie zu Transparenz
geführt. Das ist auch logisch, denn Transparenz gefährdet die Dienste.
Der mehrfach zitierte Hendrik
van Bergh, Alias‑Name Berghoff und ehemaliger Public‑Relations‑Mann
des Bundesamtes für Verfassungsschutz, beklagte sich in seinem Buch "Bonner
Krankheiten" bitter über "zu viele Freiheiten". Der Staat werde
schwach, zu beklagen sei ein "krebsartiger Befall der Sicherheitsorgane",
die geschwächt würden. Die Freiheit wurde zum Krankheitserreger.
Walter Wallmann (ob er sich
wohl noch gerne an diese Aussage erinnert?), damals "nur"
Abgeordneter, teilte mit: "Wir halten die Tätigkeit des
Verfassungsschutzes nicht für ein wünschenswertes, erstrebenswertes Tätigwerden
in diesem Staat ( ... )". Und der damalige CSU‑Innenminister
Höcherl, der später die Rolle des MAD in der Wörner‑Kießling‑Affäre
untersuchen sollte, empfand schon deutlich früher erhebliche Unlust beim Umgang
mit Nachrichtendienstlern. Mit diesen Herren wolle er, so wird er vom
Verfassungsschutz‑Chef Nollau zitiert, nicht zum Abendessen gehen.
Dem Verfassungsschutz bliebe
eigentlich nichts anderes, als in Schönheit zu sterben, stellte Horchem fest,
der an anderer Stelle erkannte, daß für die Nachrichtendienstler
"Journalisten von "stern" und "Panorama" ohnehin auf
der anderen Seite stehen". Jede Woche eine Enthüllungsstory über die
geheimen Nachrichtendienste und schon wären sie tot, schlußfolgerte Hans‑Josef
Horchem.
"Der beste
Verfassungsschützer ist der kritische und engagierte, demokratische
Bürger", erkannte der damalige hessische Innenminister Günther (SPD) bei
der Vorstellung des Landesverfassungsschutzberichtes 1982. Wenn das stimmt,
dann muß allen Politikern daran gelegen sein, kritischen und engagierten,
demokratischen Bürgern möglich zu machen, uneingeschränkt und unbeeinflußt,
uneingeschüchtert und unbelauscht Bürgerrechte wahrzunehmen. Und zu diesen
Bürgerrechten gehört es allemal, die geheimen Nachrichtendienste als höchst
überflüssig, zu teuer und moralisch anrüchig einzustufen.
Es gibt kein Grundrecht, beobachtet,
belauscht, bekrittelt, registriert und denunziert zu werden. Ob wir uns den
Luxus leisten, aus der "wehrhaften Demokratie" die "moralische
Demokratie" werden zu lassen, wer weiß? Diese Form der Souveränität wird
eher als staatsabträglich empfunden. Alle Argumente für die Abschaffung
geheimer Nachrichtendienste ‑ ihre historischen Wurzeln, die fragwürdige
Sozialisation ihrer Mitarbeiter, die notwendigen Charaktereigenschaften von
Geheimdienstlern, die Vielzahl der oft überaus großzügig genutzten Freiheiten,
die sich die Nachrichtendienstler herausnehmen, die bekannt gewordenen
Maßregelungen, die Möglichkeiten zum Machtmißbrauch, zur Informationsverfälschung,
die Unmöglichkeit zur tatsächlichen Kontrolle ‑ können doch nur dazu
führen, daß wir den tausenden Mitarbeitern der geheimen Nachrichtendienste in
Deutschland möglichst bald die Gelegenheit zur Resozialisierung geben, damit
sie sich nicht mehr verstecken, nicht mehr schummeln und täuschen, nicht mehr
die Akten im Panzerschrank verschließen, nicht mehr Mitbürgern hinterherlaufen
müssen, damit auch sie endlich frei werden. Gelegenheit zu Freimut, Mut und
Zivilcourage. Geheimdienst als "res publica", als öffentliche Sache,
hieße: Kein Geheimdienst.
Es wäre ein Wohltat für diese
Republik. Denn, wie heißt es doch? Wir haben nichts zu verbergen.
Quelle: "Geheimgefährlich : Dienste in Deutschland" von Gero
Gemballa, Köln 1990, S. 190 - 195