Der Deutschland-Clan
Jürgen Roths Abgesang auf die demokratische Kultur


Bericht: Samuel Schirmbeck

Jürgen Roth. Seit Jahren ist er auf den Spuren von Mafia und Korruption. Doch was sucht er in diesem Frankfurter Tabakladen? Er sucht die Lieblingszigarre von Peter Hartz, dem einstigen VW-Personalvorstand. Eine „Montechristo“, wie Hartz sie auf VW-Kosten bestellte. Das Stück 12 Euro 50, ein Euro mehr als der Hartz IV – Tagessatz.

Jürgen Roth: "Das Besondere ist, dass sie Symbolcharakter hat. Sie rauchen auf der einen Seite dicke Zigarren, schlürfen Champagner und auf der anderen Seite verordnen sie Gesetze, die den Arbeitslosen in die Armut stürzen."

Voll Zorn hat Jürgen Roth das Buch „Deutschland Clan“ geschrieben: Gemeint sind eine Reihe von Managern und Politikern, die das eigene Wohl, nicht aber das Gemeinwohl, verbindet. Peter Hartz, der einstige Kanzler-Berater, gibt in Roth’s Buch dabei nur eine traurige Randfigur ab. Dem Ex-Kanzler jedoch widmet Roth ein eigenes Kapitel: “Putin – Schröder, Gas und Öl. Die Hintergründe eines schillernden Netzwerkes.“ Gerhard Schröder, Aufsichtsratsvorsitzender der Pipeline-Tochtergesellschaft von Gasprom - war das nicht der Sozialdemokrat auf Seiten der Arbeitnehmer?

Gerhard Schröder in einer Rede vor Mitgliedern der I.G. BERGBAU am 12.10.2005: "Ich möchte gern unter euch bleiben. Ich weiß, wo ich herkomme, und deswegen weiß ich auch, wo ich hingehöre.

Jürgen Roth: "Zwei Monate später wissen wir, wo er hingehört auf jeden Fall. Er gehört zu einem Konzern, der extrem dubios ist."

Gasprom heißt dieser Konzern, über den Roth seit langem recherchiert. Und er erfuhr bereits einen Monat vor Schröders Gewerkschaftsauftritt, dass der Kanzler für Gasprom arbeiten werde. Für einen Konzern, der laut Roth ein Instrument Putins ist und dem Verbindungen zu kriminellen Kreisen nachgesagt werden.

Jürgen Roth: "Ich habe Geldwäsche-Verdachtsanzeigen hier vom deutschen Zoll, aus denen hervorgeht, wie Millionen verschoben werden, wo nicht weiter ermittelt wird, weil eben Putin im Hintergrund steht. Dem Bundesnachrichtendienst sind die Erkenntnisse bekannt, dem Bundeskriminalamt sind diese Erkenntnisse bekannt, Europol sind diese Erkenntnisse bekannt, also dürften sie Herrn Schröder auch bekannt gewesen sein."

Da Roth seit Jahren über die „Organisierte Kriminalität“ schreibt, werden ihm inzwischen viele geheime Dokumente zugespielt. So erhielt er auch das Foto einer 80-jährigen ehemaligen Schauspielerin. Sie fungierte als Strohfrau, mit deren Namen sich die wahren Eigentümer einer milliardenschweren Gasprom-Tochter tarnten. Dafür bekam die alte Dame ihre Telefonrechnung bezahlt.

Doch Gasprom und Schröder sind nur ein Kapitel in Roth’s „Deutschland Clan“. Auch seine weiteren Sittengemälde aus deutschen Chefetagen stützen sich auf vertrauliche Unterlagen. Sie stammen von „whistleblowern“, so genannten „Alarmschlägern“ in Behörden und Unternehmen, deren Namen geheim bleiben müssen. Ohne sie blieben viele Korruptions– und Betrugsfälle unentdeckt.

Jürgen Roth: "Whistleblower sagen: Das geht nicht. Die Öffentlichkeit muss informiert werden über diese Machenschaften und übergeben mir dann die Dokumente, damit die Sache an die Öffentlichkeit gelangt."

Der Topmanager Hans Joachim Selenz war ein solcher Whistleblower. Das ehemalige Vorstandsmitglied der Preussag Stahl AG wehrte sich gegen den Verkauf des Unternehmens ins Ausland. Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Der Mehrheitsaktionär des Stahlbetriebs aber brauchte dringend Geld und bot Selenz für seine Verkaufszustimmung eine Million Mark Korruptionsgeld.

Hans Joachim Selenz, Ex-Manager: "Wie man so schön sagt: B.A.T. - bar auf die Tatze: Schwarzgeld ohne Steuerabzug."
Frage: "Warum haben Sie 'Nein' gesagt?"
Hans Joachim Selenz: "Wenn man so etwas einmal macht, ist man Teil des Systems, eines mafiösen Systems und nicht mehr Herr seines eigenen Willens."

Hinzu kam, dass der Stahl–Manager obendrein eine seiner Meinung nach um zweieinhalb Milliarden Mark gefälschte Bilanz abzeichnen sollte. Jetzt reichte es endgültig.

Hans Joachim Selenz: "Ich habe es abgelehnt, eine gefälschte Bilanz zu unterschreiben, und das ist in Deutschland nicht selbstverständlich. Ich glaube, ich bin der erste Vorstand einer großen DAX-Gesellschaft, der es abgelehnt hat, eine gefälschte Bilanz zu unterschreiben. Ich habe sie niemals unterschrieben, nicht damals und auch nicht in der Zeit danach."
Frage: "Was hatte das für Folgen?"
Hans Joachim Selenz: " Die Folgen waren auch wieder dramatisch. Ich bin abberufen worden aus dem Vorstand der Preussag und habe danach auch noch zweimal meine Position verloren in der Industrie, weil ich die Regeln der Mafia nicht mitgespielt habe."

Klare Worte – jedoch selten. Denn, so lesen wir auch in Jürgen Roths Buch - viele Manager spielen inzwischen mit. Sind solche Bestechungsversuche wirklich schon so selbstverständlich in unseren Chefetagen? Diese Frage beantwortet uns der größte Kenner in Sachen deutscher Korruption, der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner.

Wolfgang Schaupensteiner, Oberstaatsanwalt: "Die Korruption boomt, weltweit, und damit auch in Deutschland. Ein Wirtschaftszweig, der sich hervorragend entwickelt. Die Korruption geht nicht nur mitten in das Herz des Rechtsstaates, sondern auch der Werte, die wir als tradiert, als selbstverständlich empfinden, nämlich Loyalität, Rechtstreue und dergleichen mehr."

Werteverfall in deutschen Chefetagen. Nicht nur an der Rütli-Schule. Darum geht es Jürgen Roth. Zu dem, was er über die Anbahnung von Schröders Tätigkeit bei Gasprom schreibt, wollten wir den Ex-Kanzler interviewen. Leider erhielten wir eine Absage.

 
 
Infos zum Buch
 
Jürgen Roth: Der Deutschland-Clan
ISBN: 3821856130, € 19,90
Eichborn Verlag, Mai 2006

Buchtipp zum Thema:
Hans-Joachim Selenz, Detlef Gürtler: Schwarzbuch VW
ISBN: 3821856122, € 14,90
Eichborn Verlag, Oktober 2005