Nachhaltigste Verletzung des Demokratieprinzips
»Daß
Parteiführungen auf gewählte Abgeordnete meinungsbildend einwirken, ist nicht
neu. Aber es gibt Grenzen. (...)
Zu
Recht wird immer wieder bemängelt, daß die Parteien auf der Grundlage einer
falsch verstandenen Parteiendemokratie ihren Einfluß zu stark ausweiten durch
Zugriffe auf Parlamente und Verwaltungen. Wenn etwa Parteien das Regierungsprogramm in Gestalt von Koalitionsvereinbarungen
aushandeln und die gewählten Abgeordneten dieses nur noch vollziehen, stellt
sich durchaus die Frage nach dem Demokratieprinzip, denn Parlamente beziehen
ihre Legitimation nicht von den Parteimitgliedschaften, sondern vom Wahlvolk.
(...)
Die
nachhaltigste Verletzung des Demokratieprinzips findet dann statt, wenn Parteien
nicht nur unangemessen auf die Meinungsbildung „ihrer“ Abgeordneten
einwirken, sondern das Auswechseln von Abgeordneten erzwingen wollen, die das
Wahlvolk bestellt hat. Sollte das funktionieren, begäben wir uns auf den Weg von der Demokratie zum Totalitarismus...«
Hans-Joachim
Jentsch, Richter am Bundesverfassungsgericht 1996 - 2005,
in der »Allgemeinen Zeitung« (Mainz) vom 11.3.2008
Quelle: UNABHÄNGIGE NACHRICHTEN 3 / 2008 / 1