Brokdorf
Skandal in Brokdorf ‑ Gaskrieg gegen
Demonstranten
Die DKP Schleswig‑Holstein
berichtete am 9.6.1986: Bei einer Anti-AKW‑Demonstration am 7. Juni 1986
in Brokdorf hat die CDU‑Regierung von Ministerpräsident Barschel die
Maske vollends fallengelassen: Sie trat das Demonstrationsrecht in einer Weise
mit Füßen, die an Zustände im faschistischen Chile und unter dem Faschisten‑Regime
Südafrikas erinnerte. Wenn es in Brokdorf noch keinen Toten gegeben hat, dann
nur deshalb, weil bisher erst die vorletzte Stufe des polizeistaatlichen
Terrors erreicht ist. Schleswig‑Holsteins Innenminister Claussen und CSU‑Chef
Strauß hatten bereits in ersten Stellungnahmen angekündigt, das
Demonstrationsrecht auch formal ändern und noch härter gegen Demonstranten
vorgehen zu wollen. Friedhofsruhe soll in diesem Land herrschen. Niemand soll
mehr gegen SDI, gegen Sozialabbau und gegen das Bonner Atomprogramm
demonstrieren dürfen.
Das ist in Brokdorf geschehen:
Kurz vor Beendigung der
Kundgebung auf dem Parkplatz vor dem KKW, noch ehe die Versammlung geschlossen
wurde, gingen Polizei und Bundesgrenzschutz mit Gasbomben gegen die Kundgebung
vor. Tausende Menschen flohen in heller Panik über die Wiesen und in die
Gräben. Vergebens blieben die über Lautsprecher tönenden Aufforderungen der Versammlungsleitung,
sofort mit diesem Gasangriff Schluß zu machen und die Kundgebungsteilnehmer in
Ruhe abziehen zu lassen. Aber tieffliegende Hubschrauber behinderten den Abzug.
Wasserwerfer schossen ihren Strahl unbeirrt auf die Menge. Für diese Angriffe von
Polizei und Bundesgrenzschutz gab es nicht den geringsten Grund. Offensichtlich
mußte sich Grenzschutzgeneral Ulrich Wegner, den sie militaristisch den Helden
von Mogadischu nennen, noch den Titel Held von Brokdorf hinzufügen.
Wir klagen an:
Dieser Angriff auf die
friedliche Anti‑AKW‑Kundgebung von Brokdorf ist eine eklatante
Verletzung des Demonstrationsrechts. Die bewußt herbeigeführte, nicht provozierte Verletzung tausender
von Menschen die unbewaffnet nach Brokdorf gelangten, ist eine Verletzung des
Rechts aller Bürger auf körperliche Unversehrtheit.
Jeder Kundgebungsteilnehmer
war vorher auf Waffen untersucht worden. Doch ob bewaffnet oder unbewaffnet,
das ist Polizei und Bundesgrenzschutz völlig schnuppe. Sie zeigten in Brokdorf,
daß sie brutalen Einsatz für gerechtfertigt halten, wenn überhaupt demonstriert
wird.
Die Staatsmacht hat in
Brokdorf Bürgerkrieg gespielt. Polizei und Bundesgrenzschutz machten sich zu
Herren der Entscheidung über freien Zugang zur Kundgebung. Willkürlich wurden
Straßen gesperrt. Ohne Begründung wurden Anreisende stundenlang aufgehalten.
Zigtausenden wurde so ihr Recht genommen, überhaupt ihren Protest zu bekunden.
In Kleve nahmen Angehörige des Bundesgrenzschutzes den kleinsten Anlaß wahr, um
mit brutalster Gewalt Hamburger Gegner der Bonner Atompolitik aufzuhalten, auf
sie einzuschlagen, ihre Pkws zu zerstören.
Wer Brokdorf miterlebt hat,
glaubt den Regierenden kein Wort mehr, daß sie Demokratie, Freiheit und
Sicherheit garantieren wollen. Barschel, der Freund und Verehrer des Nazi‑Kriegsverbrechers
Dönitz, Claussen, einer der Zöglinge des einstigen NS‑Bürgermeisters und
späteren Ministerpräsidenten Lemke, haben manche Lektion gelernt, nur eine
nicht, daß Demokratie und Freiheit unveräußerliche Rechte aller Bürger sind. Die
Vorgänge von Brokdorf müssen ein Nachspiel haben.
Polizisten alle einig: "Wir waren's nicht."
Ein vom stellvertretenden DKP‑Bezirksvorsitzenden
Heinz Stehr und dem Bezirkssekretariatsmitglied Helmut Grimm angestrengtes
Verfahren gegen die Verantwortlichen für den Einsatz von Gasgranaten gegen
Demonstranten wurde von der Itzehoer Staatsanwaltschaft eingestellt. Alle
vernommenen Polizisten logen, daß sich die Balken bogen. Sie bestritten, an dem
Gaseinsatz beteiligt gewesen zu sein.
Die Staatsanwälte kamen nach
17 Monaten Ermittlung zu dem Ergebnis: "Die von mir durchgeführten
Ermittlungen haben bestätigt, daß es am 7. Juni 1986 gegen 14.50 Uhr zu einem
polizeilichen Reizstoffeinsatz im Bereich des Kundgebungsgeländes am
Kernkraftwerk Brokdorf gekommen ist, der zu Beeinträchtigungen und Verletzungen
zahlreicher Kundgebungsteilnehmer geführt hat. Dieser Einsatz dürfte in Art und
Umfang rechtswidrig gewesen sein, zumal dafür selbst nach Angaben der Polizei
kein Anlaß. insbesondere kein Rechtfertigungsgrund bestand." Weiter heißt
es: Die Ermittlungen haben jedoch nicht zur Identifizierung strafrechtlich
verantwortlicher Personen geführt. Es hat sich auch nach Auswertung der polizeilichen
Dokumentation über das Einsatzgeschehen und Vernehmung der für den Einsatz Verantwortlichen
sowie der für den Reizstoffeinsatz verantwortlichen Beamten nicht feststellen
lassen, ob und gegebenenfalls von wem ein solcher Reizstoffeinsatz angeordnet
wurde bzw. welche Beamten an der Ausführung beteiligt waren." Alle vernommenen Beamten und auch der
zuständige Einsatzleiter Hempel bestritten, etwas mit diesem Einsatz zu tun zu
haben.
Oberstaatsanwalt Schwarz kommt
zu folgender Feststellung: "Ich muß zwar angesichts des Beweisergebnisses
davon ausgehen, daß die teils verantwortlich, teils zeugenschaftlich
vernommenen Beamten zumindest vereinzelt die Unwahrheit bekundet haben, um
absprachegemäß oder in stillschweigender Übereinstimmung sich selbst, Kollegen
oder Vorgesetzte vor strafrechtlicher Verfolgung zu bewahren. Allerdings kann
bei jedem einzelnen Beamten nicht festgestellt werden, ob gerade er
wahrheitswidrig ausgesagt oder tatsächlich infolge des Einsatzgeschehens keine
Beobachtungen gemacht hat."
Dazu Heinz Stehr: "Hier
wird offensichtlich alles getan, um das widerrechtliche Vorgehen der Polizei
und des Bundesgrenzschutzes in Brokdorf zu verschleiern. Wer glaubt denn, daß
es beim Einsatz von zahlreichen Video‑ und Fotoaufnahmen nicht möglich
sein soll festzustellen, wie der Gaseinsatz zustande kam? Wer nimmt es
Oberstaatsanwalt Schwarz ab, daß es bei den zahlreichen vorliegenden
Zeugenaussagen nicht gelungen sein soll, festzustellen, wer diese Übergriff
begangen hat." Verantwortlich für diesen Skandal ist neben dem
Innenminister auch der Justizminister. Der hieß Heiko Hoffmann, später Spitzenkandidat
der CDU zur Landtagswahl 1988.
Quelle: "Schwarzbuch CDU-Politik in Schleswig-Holstein",
DKP-Bezirksvorstand Schleswig-Holstein (Hg.)