Berufsverbote
Seit 1972 ist in Schleswig‑Holstein
die Praxis der Berufsverbote besonders rigoros betrieben worden. Zigtausende
junger Menschen wurden bespitzelt, tausende mußten Anhörverfahren über sich
ergehen lassen. Mehr als 100 Kommunisten und andere engagierte Demokraten
gehören zu den Betroffenen. Schon zu Beginn dieser verfassungswidrigen
Gesinnungsverfolgung hatte Justizminister Henning Schwarz die sorgenvollen
Diskussionen und die Proteste aus dem In‑ und Ausland
"intellektuelle Eiertänze" genannt.
Es begann 1972 mit dem Grund‑
und Hauptschullehrer Bernd Göbel aus Flensburg, der allein wegen seiner DKP-Mitgliedschaft
vom Schuldienst ferngehalten wurde. Dabei hatte Prof. Dr. Walter Mertineit von
der Pädagogischen Hochschule Flensburg in einem Gutachten geschrieben: "Als
ASTA‑Vorsitzender und als Seminarmitglied gewann er Respekt und Vertrauen
bei seinen Kommilitonen und bei den Mitgliedern des Lehrkörpers gerade durch
seine disziplinierte Sachlichkeit, aber auch sein Eintreten für die Belange der
Studentenschaft wie einzelner Personen. Er verbindet Selbständigkeit mit
Toleranz und einer liberalen und demokratischen Grundhaltung, die ihn vom Typ
des Extremisten sehr deutlich unterscheidet." Bernd Göbel wohnt weiter in
Flensburg. Er ist arbeitslos. Nach ihm und seinem später tödlich verunglückten
Kommilitonen Helmut Carstensen hagelte es Berufsverbote für Lehrer, Ärzte,
Verwaltungsangestellte, Sozialpädagogen, Erzieherinnen, Ingenieure und
Techniker. Hinzu kamen Postbeamte, die vom Bannstrahl der CDU‑Bundesregierung
getroffen wurden.
Die SPD Schleswig‑Holstein
charakterisierte die Folgen des unter ihrem früheren Bundeskanzler und
Parteivorsitzenden Willy Brandt beschlossenen "Extremistenerlasses"
im Jahre 1987 wie folgt: "Bei der Frage der Berufsverbote geht es nicht
allein um die Quantität, das heißt, wieviel Bewerber vom Beruf ferngehalten
werden, weil sie als "Verfassungsfeinde" etikettiert werden. Die
Problematik ist vielmehr geprägt durch eine besondere Qualität. Diese ergibt
sich daraus, daß die Ausgrenzung selbst einiger Weniger unkontrollierbare
Auswirkungen hat. Die aktive Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozeß
wird nämlich so in nicht meßbarer, aber aktuell massiv wirksamer Weise
eingeschränkt".
In Schleswig‑Holstein
gab es neben dem Umfang der Bespitzelungen durch das Verfassungsschutzamt noch
die besondere Variante des Ausbildungsverbotes. So wurde Lehrern und Juristen
zum Beispiel das Recht verweigert, nach abgeschlossenem Studium ihre Ausbildung
als Referendare oder im sonstigen Vorbereitungsdienst beenden zu können.
Abgelehnt wurden Bewerber für
den öffentlichen Dienst oft schon deshalb, weil sie sich weigerten, Fragen nach
einer möglichen Parteimitgliedschaft zu beantworten oder weil sie sich nicht
von der DKP oder ihren Zielen distanzierten.
Einige Beispiele mögen
schlaglichtartig die Berufsverbotspraxis in Schleswig‑Holstein
beleuchten!
Im Jahre 1974 wurde der
Studienassessor Detlef Schipp von Branitz aus seiner Lehrtätigkeit an der Fachhochschule
Kiel entlassen. Acht Gründe nannte das Kultusministerium: 1. Unterzeichnung eines Flugblattes gegen den Vietnamkrieg.
2. Teilnahme an Mitgliederversammlungen der DKP‑Ortsgruppe. 3. Leitung
einer solchen Mitgliederversammlung. 4. Teilnahme an DKP‑Konferenzen. 5.
Unterzeichnung eines Solidaritätsflugblattes für Chile im Oktober 1973. 6.
Teilnahme an Gründung eines Arbeitskreises Vietnam. 7. Teilnahme an einer
Flugblattaktion gegen die multinationalen Ölkonzeme. 8. Spende in Höhe von 36
DM für die DKP. Detlef Schipp von Branitz über seine Anhörung vor dem
Kultusministerium: "Auf meine Frage, ob denn der Protest gegen den
faschistischen Putsch in Chile und gegen den Vietnamkrieg verfassungswidrig
seien, erwiderte man mir, daß Träger dieser Aktivitäten für Chile und Vietnam
die DKP gewesen sei und daher Zweifel an diesem Zusammenhang angemeldet werden
müßten." Auf dem Briefumschlag, der die Entlassungsverfügung enthielt,
stand unter Bruch des Postgeheimnisses "Entlassung aus dem
Dienstverhältnis".
Im Jahre 1977 wurde eine
ausgebildete Lehrerin mit einer Karte vom Arbeitsamt zum Stadtschulamt Kiel
geschickt, das eine stundenweise beschäftigte Lehrkraft suchte. Auf dieser
Karte stand die Bemerkung: "Lt. Mitteilung Verfassungsschutz darf keine
Einstellung erfolgen". Das Landesschulamt hatte der Bewerberin eine Kandidatur
für den MSB Spartakus zu den Wahlen zum Studentenparlament vorgeworfen.
Im Jahre 1979 wurde dem Kieler
Lehrer Georg Rademacher die Einstellung in den Schuldienst mit der Begründung
verweigert, er habe an öffentlichen Veranstaltungen der DKP teilgenommen,
ebenso des Chile‑Solidaritätskomitees und böte daher nicht "die
Gewähr für die freiheitlich demokratische Grundordnung". Diese Behauptung
wurde aufgestellt, obwohl Rademacher 12 Jahre bei der Bundeswehr gedient hatte
und eine Urkunde des Bundesverteidigungsministers vorweisen konnte, der ihm
"Dank und Anerkennung für die dem Deutschen Volk geleisteten Dienste"
ausgesprochen hatte. Georg Rademacher mußte später in ein anderes Bundesland
umziehen, um dort Lehrer zu werden.
1982 wurde einem Medizinstudenten
aus Kiel eine Beschäftigung als Krankenpfleger im Klinikum verweigert, weil das
Präsidium der Christian‑Albrecht‑Universität von einem "unlösbaren
Widerspruch" zwischen den Pflichten eines Krankenpflegers und denen eines
Mitgliedes der DKP ausging. Bei dem Medizinstudenten handelte es sich um einen
ausgebildeten Krankenpfleger, der bis zur Aufnahme des Medizinstudiums in einem
Stader Krankenhaus gearbeitet hatte. Er wollte zur Finanzierung seines Studiums
Wochenenddienste als Krankenpfleger leisten. 1982 stellte sich heraus, daß die
Universität Kiel auch studentische Hilfskräfte überprüft hatte. Mehrere
Studenten sollte die Möglichkeit genommen werden, als hilfswissenschaftliche
Kräfte tätig zu sein. Unter ihnen befanden sich neben Kommunisten auch zwei SPD‑Mitglieder,
denen ihre Mitgliedschaft im Sozialistischen Hochschulbund (SHB) zur Last
gelegt wurde. Alle Ablehnungen, die später zurückgezogen werden mußten,
enthielten eine lange Liste von Schnüffelergebnissen des Verfassungsschutzes.
Im selben Jahr wurde der
Lehrer an der Gesamtschule Kiel-Friedrichsort, Thomas Bürger, vom Berufsverbot
betroffen. Er war dem Kultusministerium über den Verfassungsschutz wegen eines
von ihm geschriebenen Berichts an die "Kieler Rundschau" aufgefallen,
in dem er über eine Friedensveranstaltung in der Gesamtschule geschrieben
hatte. Diese Veranstaltung war von ihm mit organisiert worden. Thomas Bürger
sollte aus dem Schuldienst entlassen werden, weil er der Aufforderung nicht
folgte, sich von der DKP zu distanzieren. Die Entlassung konnte nicht wirksam
werden, weil die Behörde den Personalrat nicht hörte und nicht die Tatsache
beachtete, daß Thomas Bürger selbst Personalratsmitglied war. Seit 1987
unterrichtet Thomas Bürger in Hamburg, wo er zum Beamten auf Lebenszeit ernannt
wurde.
Aus einem Gedächtnisprotokoll
einer wegen DKP‑Mitgliedschaft verhörten Juristin: Auf meine Frage,
"Woher haben Sie diese Informationen, antwortete er: "Das ist
gesammelt." Frage: "Vom Verfassungschutz?" Er: "Ja".
Ich erklärte, daß ich mich zu diesen Angaben nicht weiter äußern werde, da
solche Dinge niemand etwas angehen und da ich die Bespitzelungspraktiken des
Verfassungsschutzes ablehne und für rechtswidrig halte. Ich fühle mich
hierdurch in meinen Grundrechten, insbesondere dem der Informations‑ und
Meinungsfreiheit, beeinträchtigt."
Quelle: "Schwarzbuch CDU-Politik in Schleswig-Holstein",
DKP-Bezirksvorstand Schleswig-Holstein
Anmerkung: Der Artikel berichtet wahrheitgemäß, daß Bundeskanzler Willy
Brandt wesentliche Verantwortung für den "Extremistenerlaß" trug.
Brandt hatte aber jedenfalls die menschliche Größe, dies später als einen
seiner größten politischen Fehler einzuräumen. Daß allerdings ein Sozialist,
der vor den Naziverbrechern nach Skandinavien flüchtet, später zu ähnlichen
menschenrechtswidrigen Methoden greift, legt einen psychopathologischen
Verdacht (Schizophrenie?) nahe.
Da die bundesdeutsche Justiz nach wie vor aus dem "gebrochenen
Rückgrat" heraus urteilt, welches schon Hitlers Sondergerichtsbarkeit
ermöglichte (O-Ton Generalbundesanwalt Güde), blieben die Klagen der Opfer vor
bundesdeutschen Gerichten unerhört. Es bedurfte erst eines Machtwortes des
Europäischen Gerichtshofes, die Rechtswidrigkeit des Extremistenerlasses
festzustellen.