AKW Krümmel

 

Leukämie in der Elbmarsch: Großflächige Verteilung von Kernbrennstoff im Umfeld der Geesthachter Atomanlagen nachgewiesen. Bisher vertuschter Nuklearunfall wahrscheinlich Auslöser für die Häufung der Kinderleukämien in der Elbmarsch.

 

Die bei den Geesthachter Atomanlagen südöstlich von Hamburg 1990 und 1991 aufgetretene extreme Häufung kindlicher Leukämieerkrankungen steht jetzt vor ihrer Aufklärung. Auf Grund der inzwischen vorliegenden umfangreichen Untersuchungsergebnisse ist der Auslöser eine ungenehmigte Freisetzung künstlicher Radioaktivität im September 1986, die bisher von den Behörden hartnäckig bestritten wird. Das ergibt sich aus den Beratungen der Leukämiekommission des Landes Schleswig-Holstein, die am 14. Oktober 2002 in dem Elbmarschort Marschacht stattgefunden haben. Ein entsprechender Bericht unter der Herausgeberschaft der Ärztevereinigung IPPNW ist dort vorgelegt worden. Professor Dr. Otmar Wassermann, Vorsitzender der Leukämiekommission, erklärt: "Für mich steht fest, daß im September 1986 eine ungenehmigte Freisetzung künstlicher Radioaktivität stattgefunden hat. Die von der Gutachtergruppe der Professoren Scharmann und Brandt, Dr. Schalch, Dipl.-Ing. Gabriel und anderen (ARGE PhAM) festgestellten Transurane und Spaltprodukte im Erdboden und Dachstaub in der Umgebung der Geesthachter Anlagen stammen aus Mikro-Schwermetallkügelchen, die als sogenannter Pac-Kernbrennstoff identifiziert werden konnten. An diesem besonderen Brennstoff arbeitete die Atomforschung der 70er und 80er Jahre. Offenbar hat man bei Geesthacht mit diesem Material experimentiert, und dabei ist es im September 1986 zu einem Unfall, wahrscheinlich mit einem Brand und einer Verpuffung, gekommen. Man muß davon ausgehen, daß das die wesentliche Quelle einer massiven Strahlenverseuchung in der Umgebung der Atomanlagen östlich von Hamburg war."

Damit bestätigen sich jetzt auch die früheren Befunde der Bremer Physikerin Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, die in der Umgebung Transurane nachgewiesen hatte. Auf der Sitzung der Leukämiekommission wurde kritisiert, daß die amtlich veranlaßten Untersuchungen bisher nicht zielgerichtet und mit unzureichender Methodik durchgeführt worden sind. Eine Bestätigung der Befunde der ARGE PhAM liefern dagegen frühere behördliche Bodenuntersuchungen in der Elbmarsch, die im Zusammenhang mit dem Leukämieproblem unternommen worden waren. Bei diesen war ebenfalls angereichertes Uran festgestellt worden, das nur erklärbar ist, wenn nukleartechnische Aktivitäten stattgefunden haben. Betreiber und Aufsichtsbehörden haben dagegen bisher behauptet, bei dem Ereignis habe es sich um einen Aufstau des natürlichen radioaktiven Edelgases Radon gehandelt. In dem der Leukämiekommission jetzt vorgelegten gutachtlichen Bericht wird jedoch gezeigt, daß diese Behauptung ohne sachliche Grundlage ist.

Angesichts der nun herrschenden Beweislage empfahlen Rechtsanwälte der Berliner Kanzlei Leistikow der geschädigten Bevölkerung, sich zusammenzuschließen und mit Hilfe von Sammelklagen gegen Verantwortliche vorzugehen. Dies betrifft sowohl die Familien mit erkrankten Kindern als auch Käufer von Grundstücken. Nach dem Unfall seinerzeit sollen ortsansässige Mitarbeiter der Geesthachter Atomanlagen reihenweise ihre Grundstücke verkauft und dabei den Käufern die ihnen bekannte radioaktive Verseuchung verschwiegen haben.

Quelle: "Kommentiertes Register des Sachgebietes Atomkraftwerk Krümmel, GKSS und Elbmarsch"

 

 

 

 

BERLIN ‑ Es klingt wie ein Hollywood‑Thriller: Bei kerntechnischen Experimenten mit spaltbarem Material passiert ein Unfall. Als Folge wird die Umgebung radioaktiv verseucht. Doch niemand hat ein Interesse an Aufklärung. Im Gegenteil: Alle staatlichen Instanzen vertuschen und leugnen.

 

So liest sich das Fazit des Kieler Toxikologen Otmar Wassermann zur Leukämie in der Elbmarsch. Der inzwischen emeritierte Professor war vor zwölf Jahren an die Spitze einer Kommission berufen worden. Sie sollte im Auftrag der Landesregierung die Häufung von Leukämiefällen in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel und der Kernforschungsanlage GKSS aufklären.

 

Wassermann sieht seinen Verdacht auf radioaktive Verseuchung bestätigt, will aber nicht mehr im Dienste der rot­grünen Landesregierung nach Beweisen suchen. Denn in Kiel habe man überhaupt kein Interesse an Aufklärung, behauptete der Wissenschaftler gestern in Berlin. Den Verantwortlichen der Reaktoraufsicht, Staatssekretär Willi Voigt (Grüne), bezeichnete Wassermann als "leere grüne Flasche, die mit Steuergeldern abgefüllt wird". Voigt sei der eigene Posten wichtiger als die Wahrheit.

 

Aus Protest gab der pensionierte Professor sei­nen Rückzug aus der achtköpfigen Kommission bekannt, nachdem er dies be­reits im Sommer der Landesregierung mitgeteilt hatte. Fünf weitere Mitglie­der schlossen sich an. Damit hat sich die Kommission de facto aufgelöst.           

 

Wassermann und seine Mitstreiter sprechen das Atomkraftwerk zwar nicht frei. Sie halten jetzt aber "geheim gehaltene kerntechnische Sonderexperimente" auf dem GKSS‑Gelände für die Quelle von 13 kindlichen Leukämiefällen rund um Krümmel seit 1990. Als besonders mysteriös gilt ihnen der Brand in einem kleineren Laborgebäude 1986, zu dem die Unterlagen verschwunden seien. "Es gibt genügend Hinweise, dass hier etwas passiert ist", meint Wassermann, aber "man hat versucht, alles zu vertuschen".

 

Als Motiv vermutet Professor Edmund Lengfelder Angst vor Schadenersatz. Die Landesregierung konterte, fünf externe Gutachten seien zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine Anzeichen für radioaktive ­Verschmutzung in der Elbmarsch gebe.

 

Quelle: "Lübecker Nachrichten" vom 2.11.2004 (Arnold Petersen: "Wurde Atom-Unfall vertuscht?")

 

Anmerkung: Wie bereits an anderer Stelle dieser Homepage berichtet wurde, hat es Prof. Dr. Wassermann nie leicht gehabt mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Er wurde sowohl von Barschel als auch von Simonis "gemobbt". Eine ehemalige Landesministerin berichtete, die Ministerpräsidentin Simonis habe vor Jahren im kleinen Kreis sinngemäß geäußert: "Den Wassermann, den machen wir fertig, der arbeitet nicht für uns!"