Wege aus der Staatskrise
Vorträge über Leitkultur und Einwanderung
Zum zweiten Mal hatte die
Staats‑ und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e.V. (SWG) ihre Mitglieder
und Sympathisanten eingeladen zu einem bundesweiten Seminar, diesmal unter dem
Motto "Wege aus der Demokratie‑ und Staatskrise in
Deutschland". Einhundert Plätze waren vorgesehen in einer repräsentativen
Seminarstätte im Niedersächsischen, und alle waren in kurzer Zeit ausgebucht,
so daß zahlreiche Absagen erteilt werden mußten.
Die Gesellschaft, 1962 mit dem
Ziel gegründet, staatsbürgerliche Bildung im Sinne der freiheitlich‑demokratischen
Grundordnung zu verbreiten und zu vertiefen, hat zwar im Laufe der Zeit die
Mittel ihrer Arbeit verändert, nicht aber ihren politischen Standort. Es ist
deutlich, daß sie sich als national‑konversative Gruppierung versteht,
angelehnt damals wie heute an die Landsmannschaft Ostpreußen, doch in jeder
Beziehung selbständig und von keiner Partei abhängig. An mehreren Orten in den
norddeutschen Bundesländern lädt sie regelmäßig zu Vortrags‑ und
Diskussionsveranstaltungen ein. Einmal im Jahr erscheint ihr Deutschland Journal in dem Texte von
Vorträgen enthalten sind, die im Rahmen der SWG‑Veranstaltungen gehalten
wurden, aber auch Grundsatzartikel zu wesentlichen Fragen unseres Landes.
Die SWG finanziert ihre
umfangreichen Aktivitäten ausnahmslos aus Spenden; öffentliche Mittel erhält
sie nicht und strebt sie auch nicht an, um ihre Unabhängigkeit zu erhalten.
Aus der Beschreibung ist
erkennbar, daß sich vor allem national gesinnte Menschen aus dem eher bürgerlichen
Lager angesprochen fühlen, die früher wohl überwiegend dem rechten Flügel der
CDU angehörten, heute aber zum größten Teil, entsprechend der Entwicklung
dieser Partei, außerhalb als "heimatlose Rechte" andere Möglichkeiten
der politischen Betätigung suchen.
Der Vorsitzende der SWG,
Brigadegeneral a.D. Reinhard Uhle-Wettler, hat den Titel des Seminars damit
begründet, daß sich die politische Lage in Deutschland weiter verschärft habe. Er
beruft sich auf Herbert von Arnim, dem er zustimmt in seiner Feststellung, das
deutsche Volk, der eigentliche Souverän, habe in unserem Staat nichts zu sagen.
Die herrschende Klasse regiere weitgehend als neue Obrigkeit über die Köpfe des
Volkes hinweg. Er fordert mit Willy Brandt. "Mehr Demokratie wagen!",
worunter er versteht, daß eine wachsende Zahl von Initiativgruppen und Vereinen
als außerparlamentarische Opposition Einfluß auf die "deformierte
Demokratie" (Hans Apel) gewinnen müßte.
Das Einführungsreferat hielt
der bei der SWG nicht zum ersten Mal auftretende und mit großem Beifall
empfangene Berliner Zeithistoriker Arnulf Baring, eine freie undogmatische
Stimme in unserem Land. Nach Barings Ansicht weigert sich die westdeutsche
Mehrheit immer noch, die neue Lage zur Kenntnis zu nehmen, die nach der
Wiedervereinigung entstanden ist. Sie habe nicht begriffen, welche neuen
Herausforderungen auf Deutschland zukommen. Eine der wichtigsten ist die
Überalterung der Deutschen mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Während
im Jahre 1900 auf zehn Menschen über 65 Jahre 100 Jugendliche kamen, ist das
Verhältnis heute ganz anders: Auf zehn Junge kommen zehn Alte. Die Deutschen
sitzen biologisch auf einem absterbenden Ast. Daß die Einwohnerzahl
Deutschlands nicht sinkt, ist allein auf die ständig steigende Zuwanderung aus
aller Welt zurückzuführen, ein Zustrom, der unkontrolliert ist und
schwerwiegende Probleme aufwerfen werde. Wenn in Deutschland nicht endlich eine
verantwortungsbewußte Familienpolitik betrieben werde, in deren Mittelpunkt die
Stärkung der Frau in ihrer Rolle als Mutter stehe, und wenn es nicht gelinge,
in zwei bis drei Generationen die Einwanderer zu Deutschen zu machen, dann
"wird unser Land auseinandergesprengt".
Baring bekannte sich zu einer
sinnvollen und kontrollierten Einwanderung von Menschen, die die Deutschen
konstruktiv ergänzen, lehnte aber die bisherige Praxis ab.
Ausdrücklich stimmte er dem
CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz mit seiner Forderung nach einer deutschen
Leitkultur zu. Es reiche zur Integration nicht aus, daß die Einwanderer die
deutsche Sprache beherrschen sowie Verfassungskenntnis und ‑treue
nachweisen. Merz' Propagierung der deutschen Leitkultur löse endlich eine
Diskussion aus über die Frage, was deutsch ist ‑ eine längst notwendige
Auseinandersetzung!
Wenig zufrieden äußerte sich
Baring über die CDU‑Vorsitzende Merkel, die nach seinen Worten stets
etwas später das wiederholt, was Kanzler Schröder gesagt hat, wenn auch mit
geringerer Überzeugungskraft. Eigentlich, so Baring, gehörten viele aus der CDU‑Führungsetage
in die SPD.
Ein weiteres Kernproblem sei
die Erziehung und Bildung in der Bundesrepublik. Deutschland fällt in der
Ausbildung international immer weiter ab: Persönlichkeiten mit überragender
Intelligenz wanderten zunehmend in die USA aus, weil sie hier keine Würdigung
erfahren und keine Entwicklungsmöglichkeiten haben. Deutschland müsse sein
Bildungssystem mit dem Ziel reformieren, die Leistungen zu steigern.
Zum augenblicklichen
"Kampf gegen Rechts" bemerkte Baring, nach seiner Beobachtung habe es
in Deutschland niemals eine neonazistische Gefahr gegeben. Die Gewalttaten
seien Produkte einer verwahrlosten Jugend. Die losgetretene Kampagne richte
sich in Wahrheit gegen die Unions‑Parteien. Wenn sie sich nicht
couragiert wehren, dann werden sie untergehen. Wehren sie sich aber, werden sie
es zwar zunächst schwer haben, letztendlich aber Erfolg haben.
In der Diskussion stellte
Rüdiger Proske fest, daß angesichts der Einwanderung so vieler Völkerschaften
in Deutschland ein verstärktes Nationalgefühl notwendig sei. Baring schloß mit dem
abgewandelten Goethe‑Wort: "Jeder sei ein Deutscher auf seine Weise,
aber er sei's".
Reinhard Uhle‑Wettler
unterbaute in seinem Referat seine These, daß die Bundesrepublik dank ihrer
politischen Klasse zu einem von den Wählern unabhängigen Parteienstaat geworden
sei ‑ einer Klasse, die sich gegen die Wähler abschottet und ihren Nachwuchs
aus den zugelassenen Parteien rekrutiert, unter der Voraussetzung, daß er die
aufgerichteten Tabus strikt beachtet. Wage ein Politiker, sich nach den
Forderungen des Volkes zu richten, werde er als Populist diskriminiert. Gegen
eine Bundesrepublik, in der eine Beliebigkeit der Werte herrsche wie auch ein
hemmungsloser Individualismus, der zur Zerstörung des Staates führe, erhob er
die Forderung nach einer aktiven Bürgergesellschaft, die unter der Parole
"Wir sind das Volk!" mehr Demokratie durchsetzt. Alle Argumente für
rechte Kräfte seien formuliert. Jetzt gehe es darum, viele Gruppen entstehen zu
lassen, die nach den Strategien der 68er Widerstand leisten gegen Bestrebungen
der politischen Klasse, die freiheitlich‑demokratische Grundordnung
auszuhöhlen. Resignation sei nicht angebracht. Er schloß, den Titel eines
Buches von Baring aufnehmend, mit dem Ruf: "Es lebe die Republik! Es lebe
Deutschland!"
Der Bonner
Politikwissenschaftler Hans-Helmuth Knütter hatte seinen Vortrag unter das
Thema "Europa ‑ ja, aber was wird aus Deutschland?" gestellt.
Nach seiner Auffassung sind sich die etablierten Kräfte zur Zeit nur in einem
Punkt einig, nämlich in ihrem "Antifaschismus", der in fataler Weise
an die DDR erinnert. Die CDU, gegen die sich der Kampf gegen Rechts eigentlich
richte, mache aus Angst bei den "Antifaschisten" mit. Den rechten
Kräften warf Knütter vor, zu sehr vergangenheitsfixiert zu sein. Sie sollten
das Gesicht der Zukunft zuwenden, zumal sich Deutschland in einem Epochenwandel
befinde. Die Rechten müßten die Folgen der unvermeidbaren Globalisierung
kanalisieren, indem sie eine gegenströmige Regionalisierung anstreben.
Gleichmacherische Tendenzen, die immer stärker werden, seien zu bekämpfen, die
deutsche Kultur, vor allem unsere Sprache, und das Geschichtsbewußtsein zu
verteidigen.
In den zunehmenden Spannungen
zwischen der deutschen Mehrheitsbevölkerung und den unkontrolliert
Zugewanderten sieht Knütter bereits den Beginn eines "Zusammenpralls der
Kulturen", wie der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington
ihn vorausgesagt hat. Die Auseinandersetzung werde sich verschärfen. Es sei
durchaus möglich, daß die überalterte und mutlos gewordene deutsche Mehrheit
dabei verliert und die jungen ausländischen Minderheiten in Deutschland siegen.
Dann aber solle man nach dem Wort des Augustinus leben: "Wenn dich der Tod
schon holt, dann gehe wenigstens als Kämpfer unter."
Die reale Chance für eine
rechte Partei sieht Knütter erst, wenn der Wohlstand in Deutschland schrumpft
und wenn die Globalisierung an ihrem Gigantismus scheitert. Bis dahin sollten
die Deutschen ihre Nationalität schärfen, indem sie ihre Sprache erhalten, ihre
Literatur pflegen und als Volk zusammenhalten.
Hermann von Laer von der
Universität Vechta hatte sich des Themas "Zuwanderung in die Bundesrepublik
Deutschland und ihre ökonomischen und sonstigen Folgen" angenommen. Er gab
einen Abriß der Zuwanderungsentwicklung , die Formen angenommen hat, wie sie
die Väter des Grundgesetzes nie vorgesehen oder gar gewünscht hatten, als sie
den Asylanten-Schutzartikel aufnahmen. Es strömen weitgehend unkontrolliert
immer weitere Ausländer nach Deutschland, ohne daß es dafür einen ökonomischen
Bedarf gebe. Fast jeder Zuwanderer hat in Deutschland Bleiberecht, indem er
sich etwa auf die Familienzusammenführung beruft (die dann eine
Ketteneinwanderung nach sich zieht, indem das nachgeholte Familienmitglied
wiederum Verwandte nachholt), sich als politisch Verfolgter ausgibt (von denen
bekanntlich über 90 Prozent keineswegs verfolgt wurden) oder
Bürgerkriegsflüchtling ist. Diese Regelungen, die auf der Welt singulär sind, haben zur Folge, daß die
Arbeitslosenquote bei Ausländern explosionsartig wächst; zur Zeit ist sie
doppelt so hoch wie die der Deutschen und nimmt ständig zu, weil es für die
minderqualifizierten Ausländer keine Arbeitsmöglichkeiten im Lande gibt. Seit
Mitte der achtziger Jahre sind die Ausländer Netto‑Empfänger des
Sozialsystems (unter Außerachtlassung der Rente, die die zur Zeit noch jungen
Ausländer noch nicht beanspruchen). Bereits 1994 ‑ neuere statistische
Angaben liegen noch nicht vor - waren 30 Prozent der Sozialhilfeempfänger
Ausländer.
Angesichts des Schwindens der
Deutschen ‑ pro Jahr nehmen die Deutschen um 200.000 bis 300.000 Menschen
ab ‑ ist für die Deutschen die demographische Katastrophe bereits eingetreten;
die Bevölkerungsverluste sind nicht mehr aufzufangen, es sei denn jede deutsche
Frau bringt vier Kinder zur Welt, was wohl ausgeschlossen sein dürfte.
Positiv zu werten ist die
Einwanderung der Deutschen aus den Ländern des Ostens, die eine hohe Arbeits‑
und Anpassungswilligkeit aufweisen, doch ergeben sich hier auch Probleme, weil
die Deutschen der jungen Generation aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion
sich kaum als Deutsche verstehen und in die Isolierung geraten.
Wie werden sich die Deutschen
entwickeln? Dazu von Laer: "Es wird weder zu einem fröhlichen noch zu
einem friedlichen Miteinander von Ausländern und Deutschen kommen." Wenn
die Entwicklung wie bisher weiterverläuft, werde es im Jahre 2100 nur noch 15
Millionen Deutsche geben, eine Prognose, die keinen deutschen Politiker zu
interessieren scheint.
Der Göttinger Historiker
Karlheinz Weißmann beschäftigte sich in seinem Referat mit der Frage: "Was
sagen wir unserer Jugend im Zeitalter von Globalisierung und Internet?"
Nicht zuletzt aus seiner Erfahrung als Pädagoge kam er zu dem Schluß, daß die
heranwachsende Generation nur mangelhafte Erfahrungen mit den Konsequenzen
ihrer Handlungen hat. Sie lamentiert, wenn unverantwortliches Tun zu Strafen
führt, und ist nicht in der Lage, dann die selbstverursachte negative Situation
zu bewältigen. Weißmann sieht die Ursachen für die überwiegend von
Weinerlichkeit oder Verstocktheit geprägte Haltung einmal in der elterlichen
Erziehung. Die werde nicht selten gelenkt vom schlechten Gewissen der berufstätigen
Mütter, die sehr wohl wissen, daß sie durch ihre Selbstverwirklichung den
Kindern nicht die ausreichende Zuwendung gewähren können. Wobei allerdings von
"Kindern" kaum die Rede sein kann, da es sich überwiegend um
Einzelkinder handelt. Es entstehen dann die "Wunschmonster",
verwöhnte Gören, denen jeder Wunsch ‑ wiederum aus schlechtem Gewissen
der Eltern ‑ erfüllt wird. Den Schulen ist durch die Gesetzgebung jede
Möglichkeit genommen, "gegen die verwahrlosten Kleinen, die alles haben
und tun wollen", in wirksamer Form vorzugehen. Die Lehrer sind
verunsichert. 25 Prozent aller Kinder sind verhaltensgestört. So wächst eine
Jugend heran, die nach den Worten eines linken Beobachters "verroht und
unerzogen" ist (Claus Leggewie), weil ihr niemals Grenzen gesetzt wurden.
Dabei wissen, wie Weißmann
meint, die Jugendlichen sehr wohl, daß das, was sie tun, eigentlich strafwürdig
ist. Allerdings sei bloßes Einreden auf sie sinnlos. "Erziehung muß man zu
spüren bekommen." Die "industrielle Verspassung unserer
Gesellschaft" habe jede Ernsthaftigkeit auch im Umgang mit der Jugend
schwinden lassen.
Zur Diskussion um die deutsche
Leitkultur meinte Weißmann, es sei zwar richtig, daß Menschen in Deutschland
gesetzestreu sein, die Verfassung befolgen und die deutsche Sprache beherrschen
müßten, doch fehle bislang in der Diskussion der verlangte Inhalt dieser
Kultur. Es müsse jetzt die öffentliche Diskussion darüber beginnen, was
deutsche Kultur ausmacht. Um Jugend zu erziehen, so Weißmann, müsse man wissen,
was man will, und es auch sagen. Tatsächlich aber stehen die heute
tonangebenden 68er Pädagogen hilflos vor den Resultaten ihres Wirkens.
Jeder Vortrag wurde von
ausführlicher ergänzender Diskussion begleitet, wobei positiv zu vermelden ist,
daß unter den Diskutanten keine Selbstdarsteller auftraten, sondern daß es
diszipliniert und klar zur Sache ging, so daß die anschließenden Rundgespräche
die Vorträge in erfreulicher Weise ergänzten.
Am letzten Tag des Serninars
bildeten sich Arbeitsgruppen, die aus dem Gehörten praktische Hinweise für die
Tätigkeit der Staats‑ und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft
herausfilterten und dem Plenum unterbreiteten.
Die Reihe der SWG‑Seminare (Anschrift der Geschäftsstelle: Postfach
1143, 25564 Lägerdorf) soll fortgesetzt werden.
Quelle:
Hans-Joachim von Leesen in JUNGE FREIHEIT vom 10. November 2000